Das klingende Wunderkistchen aus Langnau

Das klingende  Wunderkistchen  aus Langnau
Das Langnauerli (vorne) ist eine der kleinsten Handorgeln. Es weist Eigenschaften auf, die ihm viele Fans bescheren. / Bild: zvg
Langnau: Das Langnauer-Örgeli inspiriert Musiker wie Zuhörer seit mehr als 150 Jahren. Ein Förderverein will es mit Kursen und Konzerten bekannter ­machen. So am 10. September in Langnau.

Thomas Aeschbacher nimmt die kleine Orgel in seine Hände, setzt sie auf das linke Knie und sucht mit den Fingern die Melodie- und Basstasten. Und schon im nächsten Augenblick entlockt er der 100 Jahre alten Handorgel die ersten Töne; eine volkstümliche Weise erklingt, erzählend, tragend und schön! Und die Zuhörer staunen über die kräftigen und reinen Akkorde, die Thomas Aeschbacher seinem Örgeli entlockt. Einige haben bereits erkannt, dass er auf einem Langnauerli spielt, bereits in den ersten Takten ist nämlich ein unverkennbarer, knorriger Bass zu hören, den die Musiker auch «Schnarchlibass» nennen. Es gibt aber noch weitere Besonderheiten beim Langnauerli, weiss Aeschbacher zu berichten: «Der Tonumfang ist kleiner als etwa beim Schwyzerörgeli; gerade das macht den Reiz dieses Instrumentes aus.» Im Gegensatz zu modernen Handorgeln hat das Langnauerli tatsächlich nur neun oder zehn Melodie- und zwei Basstöne. Wer das urchige Instrument genauer kennenlernen möchte, bekommt dazu am 10. September eine Gelegenheit: Zusammen mit zwei weiteren Instruktoren wird Thomas Aeschbacher in der Musikschule Langnau einen eintägigen Workshop für Einsteiger und Fortgeschrittene anbieten. Der Kurs ist ausgebucht. Es besteht eine Warteliste. Infos gibts beim Verein Pro Schweizer Langnauer- und Stöpselbass-Örgeli: www.prooergeli.ch (Rubrik Aktuell).

Das Stück, das Thomas Aeschbacher spielt, heisst «Im Ämmitau» und wurde von seinem Vater, Werner Aeschbacher, komponiert. Nun geht die Melodie über in einen beschwingten Ländler, der voll sprühender Fröhlichkeit ist. 


Ein Örgeli, das fasziniert

Das Langnauerli fasziniere ihn schon lange, bestätigt der Musiker. Und zu den musikalischen Möglichkeiten komme noch der «Jö»-Effekt hinzu, weil das Langnauerli eine der kleinsten Handorgeln ist. «Mit dem Langnauerli musizieren macht süchtig», sagt Aeschbacher nach dem Vortrag mit einem Augenzwinkern. Und einer seiner Weggefährten bestätigt dies ohne zu zögern. Es ist Adrian Gehri aus Wasen der mit ihm zusammen einen Verein zur Förderung des Langnauerli gegründet hat: Den Verein «Pro Schweizer Langnauer- und Stöpselbass-Örgeli». «Mich fasziniert die historische Komponente», ergänzt Gehri. Wer heute einem Langnauerli zuhöre, höre damit einen Klang, den es schon im 19. Jahrhundert gegeben habe.


Erste Handorgel der Schweiz

Tatsächlich ist das Langnauerli die erste in der Schweiz hergestellte Handorgel. Wer genau das Ur-Modell gebaut hat, bleibt im Dunkel der Geschichte. Sicher ist nur, dass erste Exemplare bei der Harfenmacherfamilie Herrmann in Langnau im Jahr 1836 entstanden sind. Die ersten Langnauerli wurden denn auch «Harfe», «Handharpfe» oder, wegen der handlichen Grösse, liebevoll «Harpfli» genannt. Auch als «Rupfgygli» wurde das Instrument bekannt, das sich rasch verbreitete und bald «zäntume» in Berner Bauernhäusern zu hören war. Den Namen «Langnauerli» bekam das schmucke Instrument indes erst in neuerer Zeit, um auf den Entstehungsort hinzuweisen. Der Erfolg war so gross, dass bald an mehreren Orten im Emmental und darüber hinaus Langnauerli gebaut wurden. Es waren oft reich verzierte Kostbarkeiten, die heute gesammelt und sorgfältig gepflegt werden. Heute gibt es Werkstätten, die das beliebte Instrument wieder herstellen: In der Örgeli-Werkstatt von Rudolf Schüpbach in Wattenwil oder bei Magdalena Blaser in Schüpbach.


Langnauerli, Stöpselbass, Schwyzerörgeli

Während der Corona-Pandemie waren Auftritte nur selten oder gar nicht möglich.Thomas Aeschbacher und der Buchautor Beat Hugi machten deshalb aus der Not eine Tugend und realisierten ein Buchprojekt über die verschiedenen Handorgeln der Schweiz. Herausgekommen ist dabei ein farbiges und reich illustriertes Werk mit einem Umfang von mehr als 400 Seiten, zu dem auch zwei CD´s gehören. Zu Beginn bieten die Autoren einen spannenden Einblick in die Geschichte. Dabei wird auch der Innerschweizer Stöpselbass vorgestellt, der ein wichtiges Bindeglied von der Entwicklung des Langnauerli hin zum Schwyzerörgeli war. Seinen auffälligen Namen hat die Orgel von den Basstasten, die aussehen wie Stöpsel und aus Messing oder Knochenbein hergestellt werden. Neben zahlreichen Virtuosen kommen auch Orgelbauer und Künstler zu Wort. Sogar Franz Hohler hat sich Gedanken zum Langnauerli gemacht, er sieht in diesem Instrument die Schweizer Dialektversion des Akkordeons. Ein Dialekt der zu einer Weltsprache geworden sei. 

Man könne das Buch von vorne nach hinten lesen – oder einfach darin stöbern, schreiben die Autoren im Vorwort. Wichtiger als die Art der Lektüre ist ihnen aber, dass die historischen Örgeli wieder öfter zu hören sind: Bei einem Konzert, einem Tanz oder, wie in den Anfangszeiten, im vertrauten Zuhause. 

Langnauer Buch-Stubete

Mit Thomas Aeschbacher und Adrian Gehri musizieren im Anschluss an den Workshop am Samstag, 10. September, ab 20 Uhr, öffentlich im Saal des Gasthofs Hirschen diese Örgeler-Virtuosen: Aeschbachers «Pflanzplätz»-Kollegen Simon Dettwiler und Jürg Nietlispach (am Bass), Alois «Wysel» Lüönd (ein legendärer «Mosibueb»), Seebi Schmidig, Loris Imlig, Florian Schuler, Adrian Gehri und Res Schmid (von den famosen «Schmid-Buebe», die einst auch vom jungen Thomas Aeschbacher als «Beatles der Volksmusik» verehrt wurden). Es sind alles Musiker, die unter vielen anderen im Örgelibuch porträtiert werden. Plätze zu 25 Franken können
vorab hier reserviert werden: Per E-Mail beathugi@bluewin.ch oder Telefon 079 228 02 63 (mit Combox);
die Abendkasse ist ab 19.30 Uhr geöffnet.
Weitere Anlässe des Vereins sind auf www.prooergeli.ch aufgeführt.

18.08.2022 :: Benjamin Stocker-Zaugg (sbr)