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Kleingeld für die Götter

Kleingeld für die Götter
Luterbach: An einem abgelegenen Ort im Luterbach lagerten 71 römische Münzen. Nun erhellt sich die Geschichte, wie sie dorthin kamen.

Ein Start nach Mass. Marcel Schmutz, ein Metalldetektorgänger aus Lützelflüh, fand 2017 bei einem seiner ersten Suchgänge mehr als 70 Münzen, fast ausschliesslich aus römischer Zeit. Dabei ist die Suche «nur» sein Hobby. Er besitzt aber die dafür nötige Bewilligung und arbeitet mit dem Archäologischen Dienst des Kantons Bern (ADB) zusammen. Das Gebiet Grosshus liegt im Luterbach, einer Enklave der Gemeinde Lützelflüh. Warum suchte er gerade dort, am Rand eines Wäldchens? «Der Ort sah so aus, als sei der Hügel von Menschenhand so geformt worden», erklärte Schmutz an der Vernissage des Archäologischen Jahrbuchs 2022 des Kantons Bern, welche in Lützelflüh stattfand. «Es war ein eckiger Eingriff im sonst runden Emmental», brachte es Schmutz auf den Punkt. Ihm sei klar gewesen, dass die Spuren alt sein müssen. Dass die Geschichte aber bis in römische Zeiten zurückreicht, vermutete Marcel Schmutz erst, als er auf einer Münze die Buchstaben «SC» entdeckte, was auf ein römisches Prägerecht für Münzen hinweist. 


Münzen aus vier Jahrhunderten

Die Geldstücke waren in geringer Tiefe im Erdreich und auf einer Fläche von wenigen Quadratmetern verteilt. Wie kamen sie dorthin? Verlor jemand seine Geldbörse? Oder lag da gar ein Schatz vergraben? 

Die ältesten Münzen stammen aus der Zeit, als Rom eine Republik war, also rund 200 Jahre vor Christus – die «jüngsten» wurden eventuell erst im ersten oder zweiten Jahrhundert nach Christus geprägt. «Das deutet stark darauf hin, dass die Münzen über einen längeren Zeitraum dort deponiert wurden», erklärte Fanny Puthod vom ADB, welche sich intensiv mit Münzen beschäftigt. Weiter ist ihr aufgefallen, dass zwar recht viele Münzen dort gefunden wurden, aber deren Geldwert eher gering war. «Es handelt sich fast ausschliesslich um Kleingeld, das täglich im Umlauf war», erklärte Puthod. Entsprechend seien viele der Münzen stark abgenutzt. Die Korrosion während der rund 2000 Jahre tat das Ihre. Wertet man die Geldstücke aus, kommen 72 Asse zusammen. Was konnte man sich mit einem solchen Betrag kaufen? «Dank der Graffiti in Pompeji wissen wir, dass man vor dem Ausbruch des Vesuvs, im Jahr 79 nach Christus, in der Taverne des Hedonius mit vier Assen einen halben Liter guten Wein kaufen konnte», führte die Archäologin aus und nannte noch einen zweiten Vergleich: Eine Tunika kostete etwa 60 Asse, also knapp so viel wie der Wert der auf der Anhöhe im Luterbach gefundenen Münzen. 


Die Götter gnädig stimmen

Dass an der Stelle keine Gold- oder Silbermünzen, sondern «nur» Kleingeld aus Bronze – und in einem Fall gar eine gefälschte Münze – geborgen wurde, spreche dafür, dass die Geldstücke dort als Gaben deponiert wurden. Dies führte Michel Franz aus, welcher römische Archäologie studierte und beim ADB tätig ist. «Sie könnten im Rahmen eines Gelübdes, als Bitte, als Dank oder als Geschenk den Göttern dargeboten worden sein.» Münzopfer aus dieser Zeit seien sehr gut belegt. «Es muss davon ausgegangen werden, dass die Stelle markiert war, weil die Münzen ja über einige Jahrzehnte dort deponiert wurden», fügte Michel Franz an. 

«Es ist denkbar, dass die Stelle oberhalb des Luterbachtals einen sogenannten numinosen Ort markiert.» Numinos? «Solche Orte befanden sich an Stellen, an welchen die Bevölkerung eine göttliche Präsenz zu erkennen glaubte», erklärt der Archäologe. Zu nennen seien etwa Quellen, Sümpfe, Wasserläufe, Höhlen, aber auch Schlüsselstellen von Verkehrswegen wie Kreuzungen, Furten oder Pässe. «Möglicherweise spielte die exponierte Lage eine Rolle, oder vielleicht hatte es dort einen imposanten Baum oder Stein», sagte Michel Franz. Jedenfalls müsse es an der Stelle bei Grosshus einen Grund gegeben haben, der die Einheimischen und Durchreisenden mehr als ein Jahrhundert lang angezogen habe. Stand auf der Anhöhe vielleicht gar ein Tempel? Das sei durchaus denkbar, könne aber mit dem aktuellen Wissensstand nicht abschliessend beantwortet werden, sagte Michel Franz. 

Römische Bauten fallen unter anderem dadurch auf, dass sie aus Stein erstellt worden sind. «Es ist auch möglich, dass in einer holzreichen Gegend nicht mit Steinen gebaut wurde», sagte der Archäologe weiter. Und das Problem sei natürlich, dass nach zwei Jahrtausenden von Holz nichts mehr übrig sei. Auf alle Fälle sei an der Stelle, wo die Geldstücke entdeckt wurden, keine Holzreste zum Vorschein gekommen. Umfangreiche Ausgrabungen hat der Archäologische Dienst des Kantons Bern allerdings keine vorgenommen. 


Neue Perspektive einnehmen 

Der beachtliche Münzfund sorgt für einen weiteren Punkt auf der Karte, welche römischen Funde im Kanton Bern zeigt. Während etwa im Aaretal eine ganze Reihe an Gräbern, Gutshöfen und weiteren Gebäuden belegt sind, wurden im Emmental bislang nur ganz wenige Funde getätigt. Das liege auch daran, dass im Emmental eine vergleichsweise geringe Bautätigkeit herrsche und dass wegen der Topografie Spuren früheren Lebens oft unter einer meterhohen Schicht Erdreich verborgen liege, begründete Michel Franz. So wurde in der benachbarten Gemeinde Krauchthal in einer Tiefe von 3,5 Metern ein Wegabschnitt entdeckt, welcher aus dem zweiten Jahrhundert stammt. «Das alles deutet darauf hin, dass auch abgelegenere Orte besiedelt gewesen sein könnten», hielt der Archäologe fest. Aufgrund der hügeligen Topografie sei im Unterschied zum Mittelland mit kleineren Siedlungen zu rechnen. «Bislang wurde das Emmental in römischer Zeit vor allem als Durchgangsland und zur Gewinnung von Rohstoffen, vor allem Holz, betrachtet», erklärte Michel Franz. Nun müsse das römische Emmental aus einer anderen Perspektive angeschaut werden.  

1: Dass Münzen halbiert wurden, war keine Seltenheit. Dieses halbe As wurde zwischen 221 und 89 v. Chr. geprägt, als Rom eine ­Republik war.  5: Ein As aus der Zeit des Kaisers Tiberius (14 bis 37 n. Chr.). 15: Dieses As wurde in den Jahren 62 und 68 in Rom oder Lugdunum geprägt.  27: Ein As aus dem Jahr 82, das Kaiser Domitian und auf der Rückseite Minerva zeigt.  40: Diese Münze mit dem hohen Eisenanteil ist eine Fälschung.  44: Ein As aus dem Jahr 98. Es zeigt Kaiser Trajans Kopf und Victoria.  53: Dieses As (um 110) zeigt auch Trajan. Er war vom Jahr 98 bis 117 an der Macht. 64: Das As von 179, der Zeit Kaisers Marc Aurels, ist eine der «jüngsten» gefundenen Münzen. Bild: Daniel Marchand
14.07.2022 :: Bruno Zürcher (zue)