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Abgründe im Garten

Frühlingszeit ist Gartenzeit.
Da gibt es viel zu tun.
Enorm, wie das Unkraut wieder gewachsen ist! Und während ich so am Boden knie und jäte, denke ich über den Krieg in

der Ukraine nach. Ich hebe einen Stein auf, darunter wimmelt es von Ameisen. Ich habe ihnen gerade ihr schützendes Dach zerstört. Ich reisse Unkraut aus, unter dem sich Schnecken und Ameisen verstecken. Ich will schliesslich Blumen und Salat in meinem Garten, nicht Löwenzahn und Disteln! Und plötzlich fühle ich mich wie ein Diktator, der

darüber bestimmt, wer leben darf und wer nicht. 

Gänseblümchen und Hahnenfuss müssen weg, aber Lupinen und Sonnenhut dürfen bleiben. Ist das gerecht? Ich bezeichne eine Pflanze als Unkraut und bekämpfe sie deshalb rigoros. Werren und Schnecken sind

Schädlinge, ich vergifte sie ohne schlechtes Gewissen.


Und plötzlich frage ich mich, ob Putin sich vielleicht auch als eine Art Gärtner versteht, der ungeniert vernichten darf, was er zum Schädling erklärt hat. Genau so haben es die Nationalsozialisten in der 30er-Jahren auch gemacht: Alles, was nicht arisch war, bezeichneten sie als Ungeziefer, damit sie es ausrotten konnten. Die Philosophin Hannah Arendt konnte nach dem Krieg die Nürnberger Prozesse beobachten und stellte dabei fest, dass die Nazi-Schergen auf der Anklagebank eigentlich gar keine unmoralischen Teufel waren, sondern liebevolle Familienväter, die einfach ihre Pflicht taten und mit der gleichen Selbstverständlichkeit Menschen vernichteten wie ich in meinem Garten Unkraut ausreisse.


So banal und so alltäglich kann das Böse sein. Es steckt in allen von uns. Was kann man da tun? «Wir sind Leben, das leben will inmitten von Leben, das leben will» – so sagte es Albert Schweitzer.

Darum braucht es etwas Rücksicht – und Ehrfurcht davor. 

Auch vor Ameisen und Schnecken.

28.04.2022 :: Samuel Burger