Kleider hats genug, mit Geld lässt sich schneller und gezielter helfen

Kleider hats genug, mit Geld lässt sich schneller und gezielter helfen
Dorly Ott (vorne) und Hanni Hasenfratz sortieren in der Ostmission gespendete Kleider. / Bild: Silvia Wullschläger (sws)
Emmental: Die Solidarität mit den Flüchtlingen aus der Ukraine ist gross. Es wird fleissig gesammelt: Geld, aber auch Sachspenden wie Kleider. Doch was macht überhaupt Sinn?

Dorly Ott, ehrenamtliche Mitarbeiterin bei der Christlichen Ostmission, nimmt einen Kehrichtsack von einem Rollwagen und kippt den Inhalt auf einen langen Tisch. Heraus quellen ein wollener Rollkragenpullover, ein rosarotes Mickey-Mouse-Shirt, ein kariertes Herrenhemd, dunkelbraune Manchesterhosen und viele weitere Kleidungsstücke. «Wir schauen uns jedes einzelne Teil kurz an und sortieren aus, was schmutzig oder kaputt ist.» Sie hält eine Regenhose in der Hand, die am Saum leicht eingerissen ist. «Für eine Regenhose geht das noch», meint Ott, faltet sie zusammen und legt sie auf einen Stapel bereits geprüfter Ware. «Man muss den gesunden Menschenverstand walten lassen.» Derweil hat die zweite freiwillige Helferin, Hanni Hasenfratz, einen Sack mit Bettwäsche geöffnet. Einige weisse Leintücher sind etwas vergilbt. «Da hat wohl jemand eine Hausräumung gemacht», meint sie und wirft sie in einen separaten Behälter. Dessen Inhalt wird später gewaschen. «Wir wollen saubere und gute Ware schicken», betonen die Frauen.


In Kontakt mit Leuten vor Ort

Arbeit haben die rund 120 freiwilligen Helferinnen und Helfer der Christlichen Ostmission mehr denn je. Privatpersonen, aber auch Gemeinden und Kirchen haben zu Kleiderspenden für die Ukraine aufgerufen, so auch im Emmental. Kleiderspenden nimmt das Hilfswerk mit Sitz in Worb jahrein, jahraus entgegen. «Wir bringen seit vielen Jahren Kleider, Schuhe, Bett- und Frottierwäsche nach Belarus, Moldawien und in die Ukraine», sagt Missionsleiter Gallus Tannheimer. Pro Jahr sind es zirka 20 Sattelschlepper, insgesamt rund 300 Tonnen. Derzeit sei es schwer abzuschätzen, wie es wegen des Krieges in der Ukraine weitergehe mit den Transporten. «Möglicherweise fahren wir zusätzlich nach Rumänien, wo wir ebenfalls tätig sind und wo es nun viele Flüchtlinge hat», so Tannheimer. Die Ostmission hat in diesen Ländern nicht eigene Mitarbeitende, sondern unterstützt lokale Partnerorganisationen, Kirchgemeinden und Sozialwerke. «Wir kennen die Leute seit Jahren und stehen ständig in Kontakt», erzählt er. Gerade in der Ostukraine sei die Lage äusserst schwierig und gefährlich. Derzeit arbeite noch ein Team in Saporoschje, der Ort, wo kürzlich das Atomkraftwerk brannte. Es evakuiere Menschen aus umkämpften Dörfern und verteile Lebensmittel. Wie lange noch, sei ungewiss. Die anderen der rund 15 Mitarbeitenden hätten im Westen des Landes ein neues Verteilzentrum für humanitäre Güter aufgebaut.


«Blinder Aktionismus hilft nicht»

Die Bilder aus der Ukraine, die hunderttausende Flüchtlinge in den Nachbarländern rütteln auf. Viele Menschen möchten helfen – auch mit Kleiderspenden. «Das ist verständlich und schön, doch blinder Aktionismus hilft nicht. Man muss jetzt gut überlegen, welche Hilfe nötig und sinnvoll ist», gibt Gallus Tannheimer zu bedenken. Auch sie würden seit letzter Woche mit Kleiderspenden fast überschwemmt. Doch einfach mehr Lastwagen zu schicken, sei nicht die Lösung. Der Transport sei teuer, die Logistik schwierig, die Lage in den Grenzregionen zum Teil chaotisch. Deshalb plädiert der Missionsleiter dafür, mit Kleiderspenden momentan zurückhaltend zu sein. Wahrscheinlich sei man dann auf den Winter wieder froh darum, oder wenn die Kampfhandlungen eingestellt würden und man Ware im grossen Stil in die Ukraine bringen könne. «Denn dann fängt die Hilfe erst richtig an.» Viel nützlicher als Hilfsgüter sei momentan Geld. Es sei nach wie vor möglich, vor Ort einzukaufen, sei es in den Nachbarländern der Ukraine oder im westlichen Teil des Landes. «Es ist wirklich alles erhältlich, um die Flüchtlinge zu versorgen», sagt Tannheimer. Auf diese Weise könne man schnell und gezielt helfen und stütze erst noch die lokale Wirtschaft. 


Lokale Bevölkerung unterstützen

Geld ist auch nötig, um Menschen zu unterstützen, die Flüchtlinge bei sich aufnehmen. Die Hilfsbereitschaft der lokalen Bevölkerung sei bewundernswert – notabene von Menschen, die oft selber nicht viel hätten, betont der Missionsleiter. So gilt etwa Moldawien als ärmstes Land Europas. Nicht nur Privatpersonen, auch Kirchgemeinden, Schulen und Universitäten öffneten ihre Türen. «Die Flüchtlinge zu versorgen, kostet. Wir erhalten täglich Anträge unserer lokalen Partner und haben nun eine halbe Million Franken gesprochen für diese direkte Hilfe vor Ort.»  


Flüchtlinge freundlich aufnehmen

So zentral Geldspenden derzeit sind, ist dem Leiter des christlichen Hilfswerks auch der Beistand für die betroffenen Menschen in Form von Gebeten und Anteilnahme wichtig. Und noch etwas: «Wenn die Ukrainerinnen und Ukrainer in die Schweiz kommen, können wir sie freundlich aufnehmen, ein offenes Ohr für sie haben.» Dann seien auch Sachspenden aus der Bevölkerung wie Kleider oder Lebensmittel nützlich. Viele Familien hätten nur mit einer Tasche in der Hand flüchten können. Gallus Tannheimer hofft, dass die Solidarität in der Bevölkerung auch dann noch anhält, wenn das mediale Interesse nachlässt. Denn eins sei klar: «Hilfe wird noch lange nötig sein.»

17.03.2022 :: Silvia Wullschläger (sws)