Error compiling Razor Template (contact the administrator for more details)

Feine Hirse und freche Sprüche

Feine Hirse und freche Sprüche
Der zurücktretende Bote Guido Bucher und die neue Botin Vreni Felder verlesen den Hirs- mändigsbrief. / Bild: Markus Zahno (maz)
Flühli: Zum 30. Mal hat das Entlebucher Dorf den wiederbelebten Hirsmändig gefeiert. Die Stimmung war speziell, nicht nur, weil ausnahmsweise zwei Boten angeritten kamen.

Sie sitzen hoch zu Ross. Eine Frau und ein Mann, beide in ein edles, grün-rot-weisses Ornat gekleidet. Auf dem Dorfplatz halten sie an, kramen ein Schriftstück hervor und beginnen – umringt von Hunderten Frauen, Männern und Kindern – vorzulesen.

Hirsmändig heisst der Brauch, der gemäss Legende auf die Schlacht bei Buttisholz 1375 zurückgeht, der im Entlebuch jahrhundertelang zelebriert wurde, dann verschwand und vor exakt 30 Jahren in Flühli neu ins Leben gerufen wurde. Seither strömen hier jeweils am Fasnachtsmontag Einheimische wie Auswärtige auf den Dorfplatz. Um elf Uhr ertönen elf Böllerschüsse, danach laufen die Trychler ein, gefolgt von einem Pferdewagen und dem Boten, der den Hirsmändigsbrief verliest. Dieses Jahr kommen gleich zwei angeritten: der zurücktretende Bote Guido Bucher und die neue Botin Vreni Felder. Sie haben den Hirsmändigsbrief 2022 gemeinsam geschrieben.


Genaue Beobachter

In Knittelversen tragen Guido Bucher und Vreni Felder ihren Brief vor. Es ist ein frecher, humorvoller Rückblick auf das vergangene Jahr, der zuweilen auch nachdenklich stimmt.

Sie machen sich ganz grundsätzliche Gedanken. «Aktuell ribt mer sich unglöibig i de Ouge, wemmer z´Gscheh i de Ukraine tuet verfolge. Das aues regt mich zum Nadänke a. Und ich chas de eifach fasch nid verstah, dass Politiker bi üs vo Diktatur tüi predige, nur wöu de Bundesrat einisch öppis ohni z´Parlament tuet erledige.» Oder sie nehmen die Männer aufs Korn, die an den Hebeln der Weltmacht sitzen: «Die Dütsche hei de SPD-Ma Scholz zum Kanzler erkore. Aber so, wie dä mängisch tönt bim Sache erkläre, chönnt mer meine, är tüig sich mit Schlaftablette ernähre.»

Sie kommentieren auch die Agrarpolitik: «Nur no mit em Schleppschluch sött mer bschütte. Nümm jede aute Stau usboue zure Feriehütte. Aber Buure mache Landschaftspfleg und gä sich Müeh. Ds CO2-Problem hei mer nid nume wäge de Fürz vo de Chüe.» Vor allem aber lassen sie das Geschehen im Dorf Revue passieren. Sie berichten über den, der in eine Hausfassade fuhr, ebenso wie über jenen, der die Kugeln zu lange am Christbaum hängen liess. Über das Missgeschick des Becks ebenso wie über das Gewicht des Jodler-Präsidenten.


Stiller Moment

Ja, so einige bekommen ihr Fett ab. Für den Fall, dass sich jemand betupft fühlen sollte, gibts nach dem Verlesen des Hirsmändigsbriefs die Versöhnung: Auf dem Dorfplatz erhalten alle ein schmackhaftes Hirsemahl, begleitet von den Tönen der «Rüdigchönner», der einheimischen Guggenmusik. Die geladenen Gäste nehmen die Hirse derweil nebenan im Kurhaussaal ein. Dort auf der Bühne gibt es auch Musik und humorvolle Filme. Und die «Näbufrässer» – zwei Männer in Mönchskutte und mit Holzkreuz mit integriertem Flaschenöffner um den Hals – tragen Schnitzelbänke vor. Fröhlich singen die Fasnächtlerinnen und Fasnächtler mit, sie lachen und prosten sich zu.

Es gibt aber auch die stillen Momente. Am Morgen versammelt man sich in der Dorfkirche, um das neue Ornat der Hirsmändigs-Gesellschaft und die neuen Kutten der Hirsmändigs-Trychler zu segnen. Dabei erinnert Seelsorger Urs Corradini an jene Menschen, denen es nicht zum Feiern zumute ist, an den Krieg in der Ukraine. «Wir sollten dankbar sein, dass wir in einem friedlichen Land leben und Fasnacht feiern dürfen.» Die Schweigeminute mitten im fröhlichen Beisammensein ist eindrücklich.


Gesellige Botin

Ein besonderer Tag ist der Hirsmändig 2022 für Guido Bucher. Acht Jahre lang hat der  ehemalige Gemeindepräsident und Kantonsrat als Hirsmändigsbote geamtet. Bei der Suche nach seiner Nachfolge habe er sofort an Vreni Felder gedacht, erzählt er. Vreni Felder ist 58-jährig, zweifache Mutter und Grossmutter. Aufgewachsen im Emmental, zog sie vor 38 Jahren der Liebe wegen nach Flühli. Die Fasnacht hier besucht sie jedes Jahr, an Festen trägt sie auch gerne mal Reime vor. Sie ist viel in der Natur, kann reiten und ist gesellig. «Man muss gerne unter Leuten sein, damit man an Geschichten kommt», sagt sie.

Dass man an diesem Hirsmändig wieder ohne Abstand und Maske zusammen sein kann, das schätzt wohl jede und jeder Anwesende. «Aber irgendwie», hört man einen Mann sagen, «ist die Fasnacht dieses Jahr halt doch nicht das gleiche.» Die Pandemie und der Krieg – sie gehen an niemandem spurlos vorbei.

03.03.2022 :: Markus Zahno (maz)