Vom Pflegefall zur digitalen Nomadin

Vom Pflegefall zur digitalen Nomadin
Ursula-Maria Ruf und Dieter Leyendecker haben ihre Wohnung aufgelöst. Bis sie ihren Wohnwagen erhalten, leben sie in Zollbrück. / Bild: zvg
Zollbrück: Es hiess, sie werde nie mehr gehen können. Heute ist Ursula-Maria Ruf wieder mo-bil – und startet mit ihrem Mann bald in ein Abenteuer. Bis dahin wohnen die beiden im Emmental.

«Für immer ein Pflegefall? Nein, wir kämpfen weiter», schworen sich Ursula-Maria Ruf und ihr Mann Dieter Leyendecker. Das war vor zehn Jahren. Ruf war 46-jährig, wog wegen einer Krankheit über 250 Kilo und war bettlägerig. Um den Umzug ins Heim zu verhindern, reduzierte ihr Mann sein Arbeitspensum. Sie nahm innert einem Jahr – auch dank einem Fitnessberater – 120 Kilo ab und dachte, die nötigen Knieoperationen könnten jetzt durchgeführt werden. 

Doch die Ärzte machten ihre Hoffnung bei den ersten Gesprächen zunichte. Sie sagten ihr, sie werde nie mehr gehen können. Ihre Lebensqualität sei im Rollstuhl eh besser, das Risiko einer Operation zu hoch. Das weckte den Kampfgeist von Ursula-Maria Ruf: «Gemeinsam mit Dieter, von dem ich seit 23 Jahren eine bedingungslose Liebe erfahren darf, beschloss ich, nicht aufzugeben.»

Nach einem Jahr vergeblicher Suche war es der ortsansässige Arzt, welcher der Operation zustimmte. Sie habe ihm gesagt, sie vertraue ihm und wünsche sich das gleiche Vertrauen von ihm; für alles andere sorge das Universum. Und, oh Wunder: Vier Wochen später machte sie ihre ersten Schritte, sie hatte ihr Leben zurück.

Bis Anfang 20 hatte Ursula-Maria Ruf ein normales Gewicht. Sie arbeitete als Kindergärtnerin. Voller Zukunftspläne heiratete sie ihren ersten Mann und dachte an eigene Kinder. In der Folge wurde sie immer schwerer, und selbst Ärzte gaben ihr zu verstehen, sie habe ein gestörtes Essverhalten. Mit 35 heiratete sie ihren zweiten Mann, Dieter Leyendecker. Seine Eltern reagierten geschockt, sie hatten sich rein optisch eine andere Schwiegertochter gewünscht. Kennengelernt hatten sich die zwei, als sie weit mehr als 200 Kilogramm wog. «Ihr Gewicht war nie ein Problem für mich, ich verliebte mich in Ursula-Maria als Mensch», sagt Leyendecker. Als Grund für das Übergewicht wurde erst spät die Krankheit Lipo-Lymphödem diagnostiziert, die angeboren sein kann oder sich nach und nach entwickelt. Ursula-Maria Rufs Haut und das Gewebe sind derart geschädigt, dass eine vollständige Heilung unmöglich ist. Heute ist sie dank Gehhilfen jedoch gut unterwegs.

Gemein ist, dass sich im Zwischenzellraum unkontrolliert Wasser und andere Stoffe einlagern, was bisweilen sehr schmerzhaft sein kann. Gleichwohl schaffte sie es, ihre Situation zu akzeptieren. «Ich lernte mich anzunehmen und zu lieben, wie ich bin, und habe mich nie versteckt.»


Wohnwagen statt Wohnmobil

Ursula-Maria Ruf wirkt glücklich. «Ich habe mir mein freies Leben zurückerobert. Viele Jahre war nicht ans Reisen zu denken», sagt sie. Doch jetzt beginnt das Abenteuer ihres Lebens: Sie und ihr Mann machen sich auf zu einer grossen Europareise, werden dauerhaft im Wohnwagen unterwegs sein. Die Corona-Pandemie war gewissermassen ein Glücksfall, denn ihr Mann darf seinen Job langfristig vom Wohnwagen aus erledigen. Ihre Wohnung im Kanton Schwyz haben sie im Oktober aufgelöst. Anfang Dezember wird der Wohnwagen geliefert, in dem sie künftig leben und arbeiten werden. Über ihre Erlebnisse werden sie im Blog handicamper.ch berichten.

Diesen Monat wohnen die beiden vorübergehend in Zollbrück. Ursprünglich war geplant, ein Wohnmobil mit einem neu eingebauten Lift zu kaufen. Später stellte sich heraus, dass der Umbau zu schwierig wird. So kamen sie auf die Lösung mit dem Wohnwagen.


Den Menschen Mut machen

Ursula-Maria Ruf sieht ihre Berufung darin, mit ihren Erkenntnissen die Menschen zu inspirieren. «Ich möchte ihnen den Weg zu ihrem Herzen wieder zeigen, damit sie den Mut bekommen, sich selbst zu akzeptieren und zu lieben, wie sie sind. Alles ist möglich, wenn man an sich und an eine höhere Macht glaubt. Wir alle haben das Wissen in uns, das uns befähigt, das Drehbuch unseres Lebens selbst zu schreiben», sagt sie. 

Sie gibt ihr Wissen als Persönlichkeits- und Motivationstrainerin in Seminaren, Webinaren, Coachings und Vorträgen weiter. Zudem schreibt sie Bücher, eines ist unter dem Titel «Einfach schwer – in Ordnung» erschienen. Ursula-Maria Ruf ist überzeugt: «Jeder Mensch ist etwas Besonderes. Liebe und Selbstliebe ist der Schlüssel für alles und bringt Heilung in der ganzen Welt.»

11.11.2021 :: Remo Reist (rrz)