Zwei Männer, sechs Nordwände, 30’000 Höhenmeter

Zwei Männer, sechs Nordwände, 30’000 Höhenmeter
Roger Schäli an der dritten von sechs Wänden: der Eigernordwand. / Bild: Frank/zvg Kretschmann
Alpinismus: Roger Schäli und sein Begleiter Simon Gietl besteigen derzeit die sechs grossen Nordwände der Alpen. Auch den Weg dazwischen legen sie mit eigener Muskelkraft zurück.

«North 6» heisst das Projekt, das für Laien unglaublich tönt. Zwei Alpinisten machen sich auf, innert weniger Tage die grössten sechs Nordwände der Alpen zu besteigen. Das bedeutet: über 30´000 Höhenmeter Aufstieg und fast 30´000 Höhenmeter Abstieg. Den Weg zwischen den Bergen – gut 1000 Kilometer – legen sie mit dem Rennvelo und zum Teil auch mit dem Gleitschirm zurück.

Die beiden Alpinisten, die sich an dieses Projekt wagen, heissen Roger Schäli und Simon Gietl. Der 42-jährige Schäli stammt aus Sörenberg und meisterte die sechs Nordwände bereits 2008 nacheinander – damals im Winter, als Gefahren wie zum Beispiel Steinschlag kleiner waren als im Sommer. Bei einer der Besteigungen lernte Schäli den sechs Jahre jüngeren Südtiroler Simon Gietl kennen. Die beiden freundeten sich an und beschlossen bereits vor einiger Zeit, ein ganz grosses Projekt in Angriff zu nehmen: «North 6».


Kaum Ruhezeit

Ursprünglich wollten sich Schäli und Gietl bereits im Frühjahr auf den Weg machen. Wegen der instabilen Wettersituation mussten sie das Projekt aber verschieben. Letzte Woche hat das Abenteuer nun begonnen. Zuerst meisterten sie, die von einem zwölfköpfigen Team begleitet werden, die Grosse Zinne (2999 Meter) im Südtirol. Dann folgte der 3308 Meter hohe Piz Badile. Nach drei Stunden Kletterzeit erreichten sie den Gipfel, wo sie kurz den Moment genossen und sich an den Abstieg machten.

Auf dem Rennvelo ging es weiter in Richtung Grindelwald und von dort auf die Kleine Scheidegg. Noch am Abend kletterten die beiden Athleten eine erste Seillänge am Eiger, richteten ein Biwak ein und machten sich um 5.00 Uhr auf, die imposante Wand zu meistern. Gegen 14.00 Uhr stiegen sie über den Westgrat zum Gipfel des Eigers auf. Oben, auf 3967 Metern Höhe, machten sie das obligate Gipfelbild, ehe es zuerst zu Fuss und später mit den Gleitschirmen wieder bergab ging.


Schwerer Unfall

Roger Schäli hat die Eigernordwand bereits zum 57. Mal bezwungen. Doch das «North 6»-Projekt ist damit noch nicht zu Ende. Am folgenden Tag fuhren Schäli und Simon Gietl per Rennvelo nach Zermatt. Hier mussten sie wegen des schlechten Wetters einen Tag pausieren, ehe sie die nächste Nordwand in Angriff nehmen konnten: jene des Matterhorns (4478 Meter). Mittlerweile haben sie auch diesen Aufstieg gemeistert. Zum Abschluss folgen jetzt noch der Grand Jorasses (4208 Meter) und der Petit Dru (3733 Meter).

Als Kind fuhr Roger Schäli in seiner Heimat Sörenberg Ski und kletterte im Sommer in den Bergen. Als 17-Jähriger stürzte er im Klettergarten böse ab. Brüche an beiden Beinen und ein gebrochener Wirbelfortsatz zwangen ihn für eine Weile sogar in den Rollstuhl. Der Unfall habe ihn vorsichtiger gemacht – aber ans Aufhören habe er nie gedacht, erzählt er auf seiner Webseite.

23.09.2021 :: Markus Zahno (maz)