Ein Drittel dauert in der virtuellen Welt fünf Minuten

Ein Drittel dauert in der virtuellen Welt fünf Minuten
Reto Haldemann spielt auf hohem Niveau und will sich mit seinem E-Sports-Team der ZSC weiter verbessern. / Bild: zvg
E-Sports: Er spielt Fussball in echt und Eishockey virtuell. Der Langnauer Reto Haldemann gehört zu den Top-3-Verteidigern im deutschsprachigen Raum der E-Sports-NHL-Szene.

«Meine Kollegen nennen mich schon auch mal das Kellerkind», gibt Reto Haldemann zu und schmunzelt. Schon als zehnjähriger Knabe sei er gerne im Zimmer geblieben zum Gamen. Wer jetzt aber denkt, der 29-jährige Systemspezialist für Telekommunikation und Netzwerk sei ein typischer Gamer – der die Klischees des Fastfood-Essenden und permanent Energydrinks-Schlürfenden, unsportlichen Computer-Freaks erfüllt – liegt weit daneben. 

Trotz der zehn bis 15 Stunden Gamezeit, die Reto Haldemann pro Woche vor dem Bildschirm sitzt, spielt er noch beim FC Langnau, mittlerweile in der 5. Liga, Fussball. «Früher kam ich locker auf 20 Stunden Gamezeit pro Woche. Mittlerweile haben sich meine Prioritäten schon etwas verschoben und ich schätze auch die Zeit mit meiner Freundin oder den Kollegen», räumt der Verteidiger ein. 


Einmal Verteidiger, immer Verteidiger

«Begonnen hat 2009 alles mit einem Kollegen aus dem Fussballklub. Er hatte eine Konsole mit einem NHL-Eishockeygame, das wir zusammen gespielt haben», erinnert sich Haldemann, wie seine Passion seinen Lauf nahm. Inzwischen gehört er zu den besten drei Verteidigern der NHL-E-Sports-Szene des deutschsprachigen Raums. Im Jahr darauf kaufte sich der damals 16-Jährige die neuste Version des Games selbst und es packte ihn den Ehrgeiz, einerseits seinen Kollegen zu schlagen und andererseits selber immer besser zu werden. «Viele Moves habe ich gelernt beim Zuschauen, meistens über einen Videostream.» Da Reto Haldemann als Fussballer die Position des Verteidigers innehat, wollte er dies auch beim Eishockey so haben. «Ich mag es, das Spiel von hinten zu dirigieren. Die Taktik auf der Position ist ähnlich, egal ob Fussball oder Eishockey», erklärt der ZSC-E-Sportler. Die Eishockey-Taktik habe er als SCL-Tigers-Fan ein wenig vom Zuschauen mitbekommen und sich dann stetig mit seinen Team-Kollegen gesteigert. 


Ein Emmentaler unter Vertrag beim Z

Bevor Reto Haldemann beim ZSC als E-Sportler einen Vertrag bekam, spielte er hauptsächlich mit skandinavischen Mitspielern in der europäischen Liga der NHL-E-Gamer. «Manchmal war es etwas anstrengend, immer auf Englisch mit den Mitspielern zu kommunizieren, deshalb habe ich das Angebot des Schweizer Teams Black Jack gerne angenommen, auch wenn es damals auf einem tieferen Niveau spielte als ich», beschreibt der Langnauer seinen Werdegang. 2019 ergab sich dann der Deal mit dem ZSC. «Sie nahmen uns als E-Sport-Team unter Vertrag und letztes Jahr haben wir nochmals verlängert.» Das heisst aber nicht, dass die E-Sportler automatisch von allen Sponsorenverträgen und Vorteilen der Zürcher Eishockeylöwen profitieren würden. Vielmehr müssen die Gamer selbst Sponsoren suchen. «Unser Dreh- und Angelpunkt im Spiel wie auch ausserhalb ist unser Captain Sven Julmi; er erledigt für uns alles Organisatorische», erklärt Reto Haldemann die Struktur seines achtköpfigen Teams.  Neu haben die Spieler einen grossen Elektronik-Vertreiber als Sponsoren gewinnen können, der ihnen jährlich das neueste Game plus den Kontroller sponsert. Die Konsole muss sich jeder selber organisieren. «Vom ZSC aus hätten wir einen Gameroom, in welchem das ganze Team zusammen spielen könnte. Allerdings haben wir den wegen der Pandemie nun länger nicht mehr benutzt», so Haldemann. 

Derzeit haben in der Schweiz vier NLA-Eishockey-Klubs ein E-Sports-Team unter Vertrag: die ZSC Lions, der SC Bern, der EHC Biel und Lugano. 


5000 Euro Preisgeld

Das Team um  Reto Haldemann spielt in der obersten europäischen Liga, der ECL-12-Elite. Es gibt, analog dem realen Eishockey, eine Meisterschaft mit 30 Runden, Playoffs und schlussendlich ein Gewinnerteam. In der Liga, in welcher Reto Haldemann spielt, winkt dem Siegerteam ein Preisgeld von 5000 Euro. Pro Woche werden bis zu drei Runden gespielt; ein Drittel in der virtuellen Welt dauert fünf Minuten. Dabei gibt es zwei Varianten: Entweder spielt ein Gamer gegen einen anderen und lenkt die ganze Eishockeymannschaft oder, so wie bei Haldemann und seinem Team, jeder hat eine Spielerposition inne. 

«Ein Spiel dauert etwa eine halbe Stunde. Das reicht, denn es braucht eine gute Konzentration und Augen-Hand-Koordination», erklärt der Langnauer. Ansonsten laufe das Spiel ähnlich wie in echt, auch die Spielregeln gelte es einzuhalten. Als Schiedsrichter fungiere der Computer. «Es gibt auch ein Gentlemen-Agreement, dass man zum Beispiel keine Fehler oder Schwächen der Software zu seinen Gunsten ausnutzt.» 


«Wir wollen den Ligaerhalt schaffen»

In der Schweiz sei die Gamer-Szene im Vergleich zum Ausland eher klein, so Reto Haldemann. «In gewissen skandinavischen Ländern sind die E-Sports-Teams nicht Teil der Sportklubs, sondern sind eine eigene Organisation». Vor Corona gab es auch sogenannte LAN-Parties, bei welchen in Hallen die Computerstationen aufgebaut wurden und die Gamer dann vor Ort gegeneinander gespielt haben.

Wie lange er noch weitergamen wird, kann Reto Haldemann noch nicht sagen, aber: «Die Zeiten, in denen ich nächtelang verschiedene Games gespielt habe, sind vorbei. Aber im NHL-Game möchte ich mich noch verbessern. Auch als Team wollen wir unbedingt den Ligaerhalt schaffen und die Meisterschaft einmal gewinnen», so die klaren Ziele des E-Sportlers.

29.07.2021 :: Olivia Portmann (opk)