Ein Western muss nicht in den Rocky Mountains gedreht werden

Ein Western muss nicht in den Rocky Mountains gedreht werden
Die eingeschüchterte Luisa Frey und der Landjäger Jost Tanner (Antoinette Ullrich und Dominik Gysin). / Bild: Gertrud Lehmann (glh)
Röthenbach: Das Sahlenweidli bildet die Kulisse für einen Kurzfilm, in dem es zugehen soll wie im Wilden Westen. Thematisiert werden auch das Täufer- und Verdingkindwesen.

Erneut rückt das abgelegene Heimetli Sahlenweidli, in dem nur noch ab und zu Nostalgiker Ferien machen, ins Rampenlicht. Ein Western, gedreht im Emmental?

«Leben wie zu Gotthelfs Zeiten» hiess 2004 die Sendung von SRF, in der das Fernsehen zwei Familien begleitete, die versuchten, eine Woche lang so zu leben wie die Emmentaler Bauern vor 150 Jahren. Diese ursprüngliche Lebensform ohne Zivilisation und Komfort inspirierte Jungfilmer Christof Hofer zu seinem neusten Filmprojekt «Frey». Auch die Siedler, die einst Amerikas Wilden Westen bevölkerten, waren arm und mussten ohne Hilfe als Farmer ihren Lebensunterhalt erarbeiten. Aus dieser Überlegung entstand für Hofer die Parallele. Ein Western könne gerade so gut im Emmental wie in den Rocky Mountains stattfinden.

Neues Leben im alten Haus

Im Moment, da die Journalistinnen und Journalisten den Dreharbeiten beiwohnen durften, wimmelte es im und um das alte Haus von jungen Filmschaffenden, die mit gefärbtem Haar, Piercings, Tatoos und moderner Kleidung Farbakzente setzten. Welch ein Gegensatz! Das einsame Heimetli, das ausser dem neuen Dach weitgehend wie im 17. Jahrhundert belassen wurde, verströmte dennoch seinen rustikalen Charme: Rechen, Heugabeln und Garbenseile an der Chlackwand und Chacheligeschirr in der russschwarzen Küche. Sie wird auch noch in 100 Jahren nach Rauchküche riechen. In der Stube kauerte die verstörte Luisa neben ihrem Spinnrad am Boden. Ein Häufchen Elend, so sprenzlig und bleich, dass schon der Schatten des Landjägers sie erdrückte. Und doch soll gerade sie zur Heldin der Geschichte werden.

Die Geschichte

Christof Hofers auf Fiktion basierende Geschichte beginnt 1873 mit dem Mord am Pfarrer. Mit wenigen Figuren – es gibt keine Statisten – zeige der Film in dieser mythischen Landschaft den Pfad zwischen Gut und Böse und einen Teil Vergangenheit der Schweiz, erklärt der Regisseur. Eine mutige Frau lehne sich gegen Patriarchat und Versklavung auf und schaffe schliesslich den Aufbruch zu Vergeltung und Erlösung. Thematisiert würden auch das Täuferwesen, die Kopfgeldjagd, Verdingkinder und Auswanderung – ein bisschen Heimatfilm und ein bisschen Western. 

Die zwei Schauspieltalente

Die Hauptrollen werden gespielt von zwei Schauspieltalenten der Hochschule der Künste Bern, Antoinette Ullrich als Luisa Frey und Philip Neu-berger als junger Landjäger Christen Steck. Beide haben keine Ahnung von Landwirtschaft und Emmental, kennen nicht einmal Franz Schnyders Kultfilme. Sie musste als Baslerin Berndeutsch lernen, er müsse als Deutscher bloss «Gopferdelisiech» sagen, und das könne er schon perfekt! Wie die beiden da auf dem Läubli sitzen, gäben sie ein herziges Pärchen ab. Davon will Regisseur Hofer nichts hören, man soll ja dann den Film schauen, ohne schon alles zu wissen. 

Schlafen am Tatort

Hofer ist Drehbuchautor, Produktionsleiter und Regisseur, womöglich auch noch Koch und Requisiteur in Einem. Die Filmcrew wohnt und schläft nämlich am Tatort auf Matratzen am Boden. Da würden wohl nicht alle Stars mitmachen! «Frey» wird vom jungen Berner Produktionsverein «la main extérieure» realisiert. Die Arbeit für den 15 bis 20 Minuten kurzen Film dauert knapp ein Jahr. Gerne hätten sie einen «richtigen» Film gedreht, sagt Hofer, aber es mangle an Geld. Immerhin könnten sie Erfahrungen sammeln und vielleicht bekannt werden. Das Werk nimmt vorerst am Kurzfilm-Festival teil und sollte nachher als Vorprogramm im Kino und hoffentlich auch im Fernsehen gezeigt werden.

22.07.2021 :: Gertrud Lehmann (glh)