Hartmanns «Schattentanz» im Online-Modus

Hartmanns «Schattentanz» im Online-Modus
Viele Bücher im Regal, sein Buch «Schattentanz» in den Händen: Lukas Hartmann führte eine Online-Lesung durch. / Bild: Christina Burghagen (cbs)
Konolfingen: Die Bibliotheken Bern Mittelland präsentierten in Zusammenarbeit mit den Kornhaus-Bibliotheken eine Lesung mit Schriftsteller Lukas Hartmann – via Videokonferenz.

Einzig das Signieren am Büchertisch fiel am vergangenen Donnerstag bei der Lesung mit Lukas Hartmann aus. Ansonsten liess die Gemeinschafts-Veranstaltung der Bibliotheken Bern Mittelland und der Kornhaus-Bibliotheken nichts zu wünschen übrig. Rund 70 Literaturinteressierte loggten sich pünktlich ein und liessen sich von Moderator Martin Borner durch die einstündige Lesung führen. 


Louis Soutters Bilder 

Im Buch «Schattentanz» widmet sich der Autor Lukas Hartmann mit Haut und Haar, wie sich im Laufe des Gesprächs herausstellte, dem Maler und Musiker Louis Soutter (1871–1942). In einer Ausstellung in Basel begegnete Hartmann vor zwanzig Jahren den Werken des Künstlers. «Die Bilder liessen mich nicht mehr los», erklärte Hartmann. Immer wieder fragte er sich, ob sie Totentanz, Freudentanz oder etwas ganz anderes darstellen. Denn diese Spätwerke ab 1937 malte der Meister mit den Fingern, weil seine Arthritis keine andere Technik mehr zuliess. Die Kraft habe ihn magisch angezogen. 

Soutters Biografie beginnt vielversprechend: In einem grossbürgerlichen Elternhaus in Morges aufgewachsen, wird er in Brüssel mit 21 Jahren Schüler des Geigers Eugène Ysaÿe, der ihn zur Malerei bringt. Louis Soutter gibt die Musik zugunsten der Malerei auf und lässt sich in Lausanne und Paris ausbilden. Mit Madge, eine junge Amerikanerin, übersiedelt Soutter 1897 in die USA; als geschiedener, ausgemergelter Mann kehrt er 1903 in die Schweiz zurück. Einzig zur Schwester hat er eine enge Beziehung. Zunächst spielt er im Symphonieorchester Genf, doch ist er verhaltensauffällig. Dann schliesst er sich einem Orchester an, das durch Luxushotels tingelt. Mit 52 Jahren hat er den Ruf eines verrückten Originals. Deshalb wird Louis Soutter von seiner Familie unter Vormundschaft gestellt und in ein Heim im Schweizer Jura eingewiesen. Nur noch sein berühmter Cousin Le Corbusier interessiert sich für ihn. 


«Er war unsicher, was er konnte»

Martin Borner fragte den Schriftsteller, ob das Leben Soutters anders verlaufen wäre, wenn er seiner Mutter hätte entkommen können, die ihn zum Stargeiger triezen wollte. «Er war unsicher, was er konnte und wollte», antwortete Hartmann schlicht. Ein Gast in der Online-Lesung wollte wissen, wie es dem Autor möglich sei, sich in einen psychisch labilen Menschen hineinzuversetzen? Er habe Zugang zu solchen Menschen, versicherte der Schriftsteller. «In der Pubertät hatte ich Kämpfe mit meinem Vater, weil er mich zu einem geldverdienenden Menschen machen wollte.» In seiner Familie sei es sehr wichtig gewesen, dass die Nachkommen es zu etwas bringen, denn seine Grosseltern seien verdingt worden. Er kenne also familiäre Zwänge. Ob es nicht ein Wagnis gewesen sei, das Buch zu schreiben, wollte der Moderator wissen: «Wenn ich der Figur nicht gerecht geworden wäre, hätte ich aufgegeben.» Aus dem Publikum kam die Frage: «Was macht es mit einem Autor, wenn man so lange mit einer fiktiven Person lebt?» Er sei seit 35 Jahren verheiratet, wie man wisse, mit der Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Er kenne sich also mit langen Beziehungen aus, witzelte Hartmann und wies auf die aktuelle Ausstellung im Kunsthaus Aarau mit späten Werken von Louis Soutter hin. «Das ist gar nicht so weit weg», ermutigte der Schriftsteller.

06.05.2021 :: Christina Burghagen (cbs)