Die Schwünge finden nur im Kopf statt

Die Schwünge finden nur im Kopf statt
Von solchen Bildern, wie von diesem Gang am Oberländischen in Interlaken 2019, können Schwinger und Fans derzeit nur träumen. / Bild: Christian Frey (cft)
Schwingen: Pandemiebedingt ist es gut ein Jahr her, dass im Sägemehl geschwungen wurde. Als Nicht-Profis haben die Schwinger nur eingeschränkte Trainingsmöglichkeiten.

«Das Schwingen fehlt mir extrem. Es wäre schon schön, wenn wir endlich wieder ran dürften», gibt der Eidgenosse aus Rüegsauschachen, Matthias Aeschbacher, unumwunden zu. Dabei hat er es derzeit, zumindest trainingsmässig, nicht schlecht. «Seit Januar bin ich in Magglingen im Sportler-WK und habe hier super Bedingungen für mein Training.» Kraft und Ausdauer sind die zwei Bereiche, die der 58-fache Kranzgewinner im Moment trainieren kann. «Meine Schwünge gehe ich ab und zu im Kopf durch.» Er wisse von Kollegen, die beispielsweise ihre Klimmzüge an aufgehängten Zwilchhosen machen würden, um in Übung  zu bleiben, den Stoff zu greifen. Oder auch von solchen, die mit einer Ringerpuppe üben. Er lasse das lieber sein und fokussiere sich auf die Trainingsbereiche, die derzeit möglich seien. 


Die Gretchenfrage: Profi oder nicht?

Dabei taucht die Frage auf, ob es für die Schwinger nicht einfacher wäre, als Profi zu gelten, damit sie auch während der Pandemie richtig trainieren könnten. «Das ist die Frage der Fragen», sagt Aeschbacher. «Aktuell finde ich es nicht schlecht, so wie es geregelt ist. Aber ich denke, dass wir uns in nächster Zeit Gedanken dazu machen müssen, ob wir es uns leisten können und wollen, nochmals ein Jahr inexistent zu sein. Oder ob man nicht die Spitzenschwinger als Profis bezeichnen könnte, damit die Sportart so wenigstens nicht ganz von der Bildfläche verschwindet.» Mittlerweile habe er seine Erwartungen so heruntergeschraubt, dass er auch bereit wäre, ohne Publikum zu schwingen.

So oder so, gibt Aeschbacher zu, wäre es gut, wenn langsam Licht ins Dunkle käme. «Wir Schwinger brauchen eine gewisse Vorlaufzeit für unsere Vorbereitungen im Sägemehlring, um an einem Fest risikofrei schwingen zu können – der eidgenössische Verband hat eine Zeitspanne von vier Wochen vorgeschlagen.» Es gehe aber auch um existenzielle Fragen. Wenn klar wäre, dass keine Feste stattfinden würden, könnten sich die Schwinger um ihre Arbeit kümmern und weniger Zeit ins Training stecken. 


Joel Wicki hat den Fokus geändert

Ein Entscheid, den Joel Wicki unlängst selbst gefällt hat. «Ich habe letztes Jahr eine Zweitausbildung als Landwirt begonnen und mich selbstständig gemacht», erklärt der Eidgenosse aus Sörenberg. Das Training habe er auf den Abend verlegt und sich anders fokussiert. «Ich habe viel daheim und draussen trainiert und war ebenfalls in Magglingen im Sportler-WK», erzählt der 24-Jährige. Das vergangene Jahr sei trotz allem nicht schlecht gewesen, denn er habe mehr Zeit für seine Kollegen und seine Freundin gehabt und Dinge machen können, für welche er während der Schwingsaison sonst keine Zeit habe. Die Vorlaufzeit von vier Wochen zum Wiedereinstieg sieht Wicki hingegen eher skeptisch. «Man kann im Sägemehl ja nicht gleich wie ein Muni loslegen. Ich habe das Gefühl, es braucht mehr Zeit, bis sich der Körper wieder an die Schläge gewöhnt hat und mit den Bewegungsabläufen umgehen kann.» Auch Wicki würde sehr gerne wieder loslegen, im Visier die zwei eidgenössischen Anlässe vom September (ESV-Jubiläumsschwingfest in Appenzell und Kilchberger Schwinget). Ohne Zuschauer zu schwingen, ist für Joel Wicki fast unvorstellbar. Aber auch daran würde er sich wohl gewöhnen können, falls es zur Debatte stünde, meint er. Zur Frage, wie er eine Einstufung als Profi sieht, wollte sich der 44-fache Kranzgewinner nicht äussern. «Überhaupt schon die Schwinger einzustufen, finde ich äusserst schwierig.» 


Ziel: Jubiläumsschwingfest 

Für den aufstrebenden Jungschwinger aus Eggiwil kam die Zwangspause aus sportlicher Sicht zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Dominik Gasser zeigte eine konstante Leistung und holte 2019 zwei Kränze. «Ich bin seit meinem letzten Schwingfest, mit Ausnahme von zwei, drei Mal im Sommer, nicht mehr im Sägemehl gestanden», gibt Gasser zu. Zwar sei er im Sommer oft in Bewegung gewesen, mit dem Velo und zu Fuss. Aber schwingtechnisch habe er nicht mehr viel gemacht. «Seit anderthalb Monaten trainieren wir wieder mit dem Schwingklub, in Vierergrüppeli und auch nur Kraft und Ausdauer. Aber die Schwingtechnik kommt dann schnell wieder», meint Gasser. «Meine Spe-zialschwünge, die kann ich.» Dementsprechend ist der zweifache Kranzgewinner zuversichtlich und hofft einfach darauf, an seine frühere Konstanz anknüpfen zu können und sich so für das Jubiläumsschwingfest in Appenzell qualifizieren zu können.

04.03.2021 :: Olivia Portmann (opk)