Bei den Bestattungen war Effizienz gefragt: Man wickelte die Leichen nur noch in Säcke und legte sie in Sargtruhen, welche sich unten öffnen liessen. / Bild: zvg
Emmental: Krankheiten, die sich rasch verbreiten, sind nicht neu. Was hat man einst unternommen? Einblick gewährt ein Buch über den Arzt Thomas Schöpf, der vor 500 Jahren geboren ist.
Es war ein heftiger Einstieg für Thomas Schöpf. Als er im Januar 1565 von Colmar nach Bern zog, um dort seine Stelle als Stadtarzt anzutreten, litt Bern bereits unter einer aufkeimenden Pestepidemie. Die Dienste des damals 45-jährigen Arztes waren gefragt. Er war sieben Tage die Woche im Einsatz, am Tag und oft auch nachts. «Der Stadtarzt wurde so oft gerufen, dass er sich schon nach wenigen Monaten beim Rat beschwerte», hat die Historikerin Anne-Marie Dubler recherchiert. Aus ihrer Feder stammt das heuer erschienene Buch «Leben und Sterben zur Zeit des Stadtarztes Thomas Schöpf».
Pestilenz, Blattern und Ussatz
Zu kämpfen hatte der Arzt nicht nur mit der Pestilenz (Pest), sondern auch mit Blattern und Ussatz. Die beiden Krankheiten sagen Ihnen nichts? Bei letzterer handelt es sich um Lepra, welche weltweit nach wie vor nicht ausgerottet ist. Lepra wird – wie aktuell Covid-19 – durch Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch übertragen. Das wurde aber erst 1873 bekannt. Zu Thomas Schöpfs Zeit ist man davon ausgegangen, dass es sich bei Lepra um eine Erbkrankheit handle. «Den Erkrankten starben Organe und Glieder ab, und da auch die Nerven abstarben, verloren die Erkrankten jegliches Schmerzgefühl», schreibt Anne-Marie Dubler. Die Behandlungsmethoden waren schlicht grausam. In den Rechnungsbüchern hat die Historikerin Einträge gefunden wie «ein fuoß abgehouwen» oder «dem armen mann, dem beid schenkel abgnon». Amputationen wurden nicht durch einen Arzt wie Schöpf vorgenommen, sondern durch Scherer. Die Aufgabe des Stadtarztes war es, die Erkrankten zu «beschauen», quasi die Diagnose zu stellen. Stellte er beispielsweise Lepra fest, wurden die Betroffenen in ein Siechenhaus verlegt.
Ähnlich wurde mit Menschen umgegangen, die an Blattern litten. Wegen der auffälligen Blasen wurde in den bernischen Quellen Syphilis so bezeichnet. Die Krankheit, welche durch sexuelle Kontakte übertragen wird, war vergleichsweise neu. Erstmals 1495 aufgetaucht bei französischen Truppen, welche in Neapel einmarschierten – daher auch «französische Sucht» genannt – verbreitete sich Syphilis rasch und man reagierte auch rasch: Bereits 1498 war ausserhalb von Bern das erste «Blatternhaus» entstanden. «Am schlimmsten aber wütete in Bern wie in den übrigen eidgenössischen Städten die Pest», schreibt Dubler weiter. Immer wieder zogen regelrechte Pestzüge übers Land, so auch in den 1560er-Jahren, als Thomas Schöpf seine Stelle in Bern angetreten hatte.
Kranke nach Bern gebracht
Erkrankte wurden teils von weit her nach Bern gebracht, wobei man bedenken muss, dass der Staat Bern damals von der Waadt bis in den heutigen Aargau reichte! Anhand der Eintragungen zum «beschouwerlon» – Lohn des Beschauers – ist überliefert, dass Kranke von Ällen (Aigle), Othmassingen (Othmarsingen), aber auch von Signau zur Besichtigung nach Bern geführt wurden. «Es ist kein Zufall, dass ein Aussätziger aus Signau nach Bern geführt wurde», erklärt die Historikerin auf Anfrage. «Signau hatte kein eigenes Siechenhaus, dafür aber zusammen mit Eggiwil ein gemeinsames Siechengut, das für die Kosten einer Platzierung in Bern oder Burgdorf aufkam.» Gesundheitliche Einrichtungen gab es aber auch im Emmental. «Es gab beispielsweise das Spital für Arme und Pilger in Sumiswald, beruhend auf der Stiftung des Freiherrn Lüthold von Sumiswald (1225). Der Orden der Brüder vom Deutschen Hospital Sankt Mariens in Jerusalem – kurz Deutschritter-Orden – baute die Burg in Sumiswald mit dem Spittel.» Nebst den Siechenhäusern in Bern und Burgdorf wurde ab 1583 für das Emmental aber auch jenes in Huttwil wichtig.
Kleines Tierchen, grosse Seuche
Ärzte wie Thomas Schöpf, aber auch die lokalen Scherer, wussten nicht, wie sich die Pest verbreitete. Erst gut 300 Jahre später, genau 1894, entdeckte ein Bakteriologe den Pestbazillus. Es sind Flöhe der mit dem Bazillus infizierten Nagetiere (Ratten, Mäuse) als Wirte, die dem Menschen die Beulenpest bei ihren Flohbissen übertragen. Bei der Lungenpest verbreitet sich die Pest von Mensch zu Mensch über eine Tröpfcheninfektion. Heute weiss man, dass es Leute mit pestverseuchten Läusen in ihrer Kleidung waren – Kaufleute, wandernde Handwerker, Marktschreier und viele Bettler, welche die Pest vor allem in die Zentren einschleppten.
Die damalige Bevölkerung wusste also nichts von der Übertragung durch die Läuse; sie stellte aber fest, dass es in schlimmen Seuchenjahren viele schädliche Tiere hatte. «Verschiedene Arten von Nagern, wobei lateinisch ‹mus› nicht nur Maus, sondern auch Ratte bedeutet. All diese Tiere wurden jedoch allein wegen ihrer Schäden an Nutzpflanzen und Nutztieren gejagt», schreibt Anne-Marie Dubler. Die Stadt unterstützte die Bejagung durch Prämien; bezahlt wurde pro Kopf, wie eine Abrechnung von 1564 zeigt: «Der husfrouw und sunst denen, so schädlich, so gfärlich gwild und schärmüs gfangen – 39 Pfund.» Erlegt wurden indes nicht nur Nager, sondern auch Wölfe, Otter, Reiher, Raben wie auch streunende Hunde.
Bettler heim gekarrt
Die bernische Obrigkeit ortete auch in den Scharen von Bettlern und Landstreichern einen regelrechten Krankheitsherd. Fremde wurden in ihre Heimat zurückgeführt. Dafür war in Bern der «Kärliman» – der Mann mit dem Karren – zuständig: «kärliman etlich krank lüt gan Burgdorf gefuort.» Aber auch auf dem Land ging man gegen die Bettler vor, auch mitten in der Pestepidemie: 1565 wurde ein so genannter Bettelvogt entschädig, der «83 bättler inzuolegen», also gefangen nahm.
Stadtarzt Schöpf versuchte der Seuche – ähnlich wie heute – mit Quarantänemassnahmen zu begegnen. Seine Forderung, Pest- und Lepra-Erkrankte getrennt von den anderen Kranken und Armen unterzubringen, wurde aber nur halbherzig umgesetzt. Er ahnte die hohe Infektionsgefahr in den von armen Menschen überlaufenen Spitteln. Auch sprach sich Schöpf gegen die Besuchspflicht der Stadtärzte in den Spitälern aus. «Dafür hatte die Obrigkeit gar kein Verständnis», fand die Historikerin heraus. «Vielmehr forderte sie von den studierten, gelehrten Stadtärzten noch mehr Spitalbesuche. Man war überzeugt, dass die Stadtärzte die Pest zu heilen wüssten.»
Wie Thomas Schöpf die Kranken konkret zu heilen versuchte, geht aus den spärlichen Quellen indes nicht hervor.
Tote rationell begraben
Trotz der Absonderung der Kranken, der Pflege in den Spitteln, der Bejagung der Tiere hatten die Totengräber viel zu tun. «Die Totengräber mussten 1566 Leichen, wo immer sie diese fanden, begraben», ist zu lesen. Aus Abrechnungen wird klar, wie schlimm die Situation beispielsweise 1667 war: «Dem totengreber 23 arme zu vergraben.» – «Im Emmental sind keine Massengräber bekannt, ausserhalb von vielen Städten Europas wurden aber solche angelegt», erklärt die Historikerin. «Die Leichen wurden nur in Tücher gewickelt, den Boden der Sargtruhen konnte man öffnen und die Leiche in die Grube gleiten lassen. Man musste sich angesichts der vielen Toten auf eine rationelle Art helfen.»
1577 – im schlimmsten Pestjahr – passierte das, was längst zu befürchten war: Schöpf steckte sich mit der Pest an. Er erlag am 16. Juni 1577 der Krankheit.
Thomas Schöpf blieb weniger wegen seines grossen Engagements als Stadtarzt in Erinnerung, denn als Autor einer Karte, der so genannten Schöpfkarte. Ob er wirklich deren Autor ist, erfahren sie in der kommenden Ausgabe.
Quelle: «Leben und Sterben zur Zeit des Stadtarztes Thomas Schöpf» von Anne-Marie Dubler – Berner Zeitschrift für Geschichte, Heft 272020.