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Der Maskenträger

Während Monaten machte sich Ernst über Maskenträger lustig, welche in Einkaufsläden, Restaurants und oft sogar auf der Strasse freiwillig ihr Gesicht verhüllten. Ihre Überängstlichkeit, wie er es nannte, ging ihm derart auf die Nerven, dass seine Witzeleien immer mehr in beissenden Spott übergingen. Nachdem von Behördenseite das Maskentragen in öffentlichen Räumen für obligatorisch erklärt wurde, sah sich Ernst bei seinen Besorgungen gezwungen, selber einen Mund- und Nasenschutz anzuziehen. Schneller und einfacher als gedacht, gewöhnte er sich an die neue Normalität. Schon bald fiel ihm jede Person auf, welche sich nicht an die Maskenpflicht hielt. Als er sich am Vortag ein neues Hemd kaufen wollte, entdeckte er im Warenhaus doch tatsächlich zwei Jugendliche, welche ihre Masken unter dem Kinn lose um den Hals trugen. Diese Rücksichtslosigkeit und dieses sich Nicht-anpassen-Wollen empfand Ernst als derart stossend, dass er die Teenager mit einer spitzen Bemerkung auf die geltenden Vorschriften aufmerksam machte. Wieder zu Hause berichtete er Ehefrau Marianne von seinen Beobachtungen. Diese blickte ihren Ernst ernst an und sprach: «Mein lieber Mann, wie wäre es, wenn du Menschen mit einer anderen Meinung oder Lebensauffassung nicht länger als Gegner sehen würdest, die es zu bekämpfen gilt? Du darfst deine Weltsicht vertreten, sie sogar als alleinige Wahrheit anpreisen. Du darfst sie auch überdenken und verändern, aber bitte betrachte dein Gegenüber als wertvolle Persönlichkeit, die wie du ihren Weg im Leben sucht.» Ernst schluckte schwer und auf einmal stand sein Konfirmationsvers vor ihm, wo Jesus sagt: «An der Liebe wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid.»

05.11.2020 :: Herbert Held