Zuerst eine Episode, die über 50 Jahre zurückliegt. Ich war noch im Studium. Weil einer meiner Schwestern an meinem Studienort mit ihrer jungen Familie lebte, besuchte ich sie hin und wieder. Damals hatte man als Student nur beschränkte finanzielle Mittel zur Verfügung. Wir hatten zusammen einen gemütlichen Abend. Beim «Adiösagen» fordert meine Schwester ihre kleine Tochter auf, mir Dankeschön zu sagen. Jedoch war die Tochter ob dieser Aufforderung sehr
erstaunt – für sie wäre dies eine deplatzierte Geste. Denn sie schaute ihre Mama mit grossen Augen an und sagt ganz schlicht und einfach: «Der Onkel hat ja gar nichts mitgebracht.» Eines ist sicher: Die Nichte hatte durchaus recht und hat mich deswegen nicht aus den Schuhen gehoben. Ich kam mit leeren Händen und sie war vermutlich gewohnt, nur dann «Dankeschön» zu sagen, wenn sie etwas bekommen hat. Jedoch meine Schwester sagte zur Kleinen: «Aber der Onkel hat sich heute extra für uns Zeit genommen.»
Ich kann mir gut vorstellen, dass nicht nur Kinder, sondern auch wir Erwachsenen sehr oft in der gleichen Situation sind. Wozu sollen wir eigentlich danken? In den ersten Wochen der Corona- Pandemie haben wir als Erwachsene Grund genug gehabt, jenen Menschen zu danken, die sich für die betroffenen Menschen eingesetzt haben. Auf einmal haben wir gemerkt, dass so vieles im Hintergrund und ohne Wenn und Aber geschieht. Eine Anerkennung auf welche Art und Weise war wichtig.
«Dankbarkeit ist ein Zeichen edler Seelen.» Diese Worte finden wir nicht etwa in der Bibel, sondern beim griechischen Fabeldichter Aesop, der etwa um 600 vor Christus gelebt hat. Es gibt doch grundlegende Verhaltensweisen, die wir niemals vergessen sollten. Vielleicht ist es gut, wenn wir wieder einmal
darüber nachdenken.