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Was isst Religion?

Religion hatte immer schon mit Essen zu tun – und Essen mit Religion. Man isst gemeinsam an religiösen Festen – oder verzichtet aufs Essen, weil man fastet. Als Jude oder als Muslim isst man kein Schweine-, als Hindu kein Rindfleisch. Solche Regeln hatten wohl einmal einen triftigen Grund, aber mit der Zeit wurde daraus eine religiöse Pflicht und ein Zeichen der Zugehörigkeit – und der Abgrenzung gegenüber anderen Religionen. Im Christentum traten solche Vorschriften immer mehr in den Hintergrund, Jesus und Paulus erklärten alle Speisen für rein. Im 16. Jahrhundert war ein Wurstessen in der Fastenzeit zwar noch ein Sakrileg, heute kümmert es niemanden mehr, was der Nachbar isst. Eigentlich ist Essen heute nichts Religiöses mehr. Umso mehr erstaunt es mich, wie sehr ansonsten nicht sehr gläubige Menschen aus der Ernährung wieder etwas Heiliges machen. Wenn ich mich vegan ernähre, helfe ich mit, die Welt zu retten. Als Vegetarier rette ich Tieren das Leben. Als Weight Watcher bin ich Teil einer Gemeinschaft, und eine neue Diät bringt mir die Erlösung. All das hat nicht nur religiöse Züge, sondern ist auch ein Markt geworden, der immer wieder neue Modetrends hervorbringen muss. Lehne ich mich zu sehr aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass Ernährung zu einer Art Religionsersatz geworden ist und heute Bedürfnisse abdeckt, die man früher in den Kirchen suchte – Gemeinschaft, Heil, Hoffnung? Jesus sagte einmal: Nicht das, was in den Menschen hineinkommt, macht ihn unrein, sondern das, was aus seinem Herzen kommt. Analog: Nicht das, was wir essen, macht uns zu Heiligen. Es ist sicher nicht falsch, auf gesunde und massvolle Ernährung zu achten. Aber es ist auch nicht falsch, auf sein Herz zu achten und das Heil nicht in äusseren Dingen zu suchen. 

25.06.2020 :: Samuel Burger