Ist die Welt in Ordnung?

Kurz nach dem Abendessen kommt die Frage scheinbar aus dem Nichts: «Mama, gell, die Welt ist in Ordnung?» Auf mein Nachfragen, was unsere Tochter damit meine, kommt keine Erklärung. Stattdessen wird die Frage wiederholt. Und so gebe ich zur Antwort: «Ja, die Welt ist in Ordnung.» Wohlwissend, dass ich ihr damit nicht die Wahrheit sage. Dass ich ihr damit sogar ziemlich viel vorenthalte. Dass ich sie in ihrer Kinderwelt verweilen lasse. Wohlwissend auch, dass irgendwann schwieri
Fragen kommen müssen. Wieso schmelzen die Gletscher?
Warum bringt ein Polizist einen Menschen um? Ist es wahr, dass Eltern manchmal sterben, wenn die Kinder noch klein sind? 

Am Anfang war die Welt in Ordnung. Davon erzählt die
biblische Schöpfungsgeschichte: Das Chaos wird gebändigt, Licht und Finsternis werden geschieden, Land und Wasser getrennt, Pflanzen, Tiere und Menschen werden geschaffen. «Und Gott sah, dass es gut war.» Die Geschichte versichert unsere Kinder über die Güte des Anfangs. Sie spricht ihnen zu, dass alles gut begonnen hat. Mittlerweile kennen wir die Evolutionstheorie und wissen, dass bereits die frühe Entwicklung Opfer forderte. Das Überleben der Stärksten liess die Schwachen auf der Strecke bleiben. Lassen wir deshalb die biblische Schilderung und die naturwissenschaftliche Erklärung nebeneinanderstehen. Sie erzählen uns nämlich unterschiedliche Geschichten, die beide ihre Berechtigung haben. Wie es genau war, wissen beide nicht. Auch ob es in ferner Zukunft wieder ganz gut werden kann, muss offenbleiben. Die Religionen meinen «Ja». Der moderne Mensch ist durch und durch Realist. Für mehr als ein «Vielleicht» reicht es oftmals nicht. Glücklich darf sich schätzen, wessen Leben zwar nicht ständig, aber doch immer wieder in Ordnung ist. 

18.06.2020 :: Susanne Kühni