Die Schlüsselübergabe von einer Generation an die nächste will gut vorberietet sein. / Bild: zvg
Emmental/Entlebuch: Wird ein Landwirtschaftsbetrieb an die nächste Generation übergeben, ist dies meist eine emotionale Angelegenheit. Entsprechend wichtig ist es, sich früh darauf vorzubereiten und sich nicht zu scheuen, Altbewährtes zu hinterfragen. Ein Spiel kann dabei helfen.
Wann ist der richtige Zeitpunkt, sich mit der Hofübergabe beziehungsweise -übernahme zu befassen? Wie sollte man diese angehen, damit es später nicht zu Konflikten kommt? Mit diesen Fragen befasste sich Sandra Contzen im Rahmen des Projekts «Hofübergabe 360». Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) der Berner Fachhochschule. Ziel war es, den Prozess zu erforschen und neue Ansätze zu entwickeln. Diese sollen sowohl den Bauernfamilien als auch den Beratenden helfen, die Übergabe frühzeitig und ganzheitlich anzugehen. Aus der Arbeit entstanden ein Gesellschaftsspiel und eine Webseite (siehe Kasten).
Früh ist nicht zu früh
«Je früher sich eine Familie mit der Hofnachfolge befasst, desto besser», lautet ein Fazit von Sandra Contzen. «Es handelt sich um einen komplexen Prozess, der Zeit erfordert.» Sich mit 50 oder 55 Jahren damit auseinanderzusetzen, erscheine zwar früh, zahle sich aber aus. Zu diesem Zeitpunkt sei es sinnvoll, mit dem Sohn oder der Tochter, welche den Betrieb übernehmen wollen, über die strategische Ausrichtung zu sprechen. «Wenn die Jungen keine Milchwirtschaft betreiben wollen, sondern vielleicht auf Mutterkuhhaltung umstellen möchten, macht es wahrscheinlich keinen Sinn, in einen teuren Melkroboter zu investieren», nennt Sandra Contzen ein Beispiel. Rechtliche und finanzielle Fragen früh anzusprechen, biete den Vorteil, verschiedene Varianten durchspielen zu können. Dabei solle es keine Tabus geben, sagt sie. Zum Beispiel das Wohnrecht der Eltern dürfe durchaus hinterfragt werden. Wollen wir das? Oder brauchen wir mehr Distanz? Was sind die Alternativen? «Solche Fragen sind wichtig, denn am Schluss soll es für beide Parteien langfristig stimmen.»
Spielerisch Lösungen suchen
Nicht nur der Faktor Zeit ist wichtig, damit eine Hofübergabe gelingen kann, sondern auch die Bereitschaft, über Wünsche und Erwartungen, Werte und Ziele zu sprechen. In Gesprächen mit Bauernfamilien und Beraterinnen und Beratern stellte Sandra Contzen fest, dass es oft kleine Dinge sind, die im Alltag herausfordern. «Das kann sein, dass die junge Generation nie anklopft, wenn sie die Wohnung der Eltern betritt. Wenn das für beide stimmt: gut. Wenn nicht, kann es zu einem Konflikt führen.» Es sei wichtig, auch über solch alltägliche Situationen zu sprechen und nicht alles herunterzuschlucken, betont die Projektleiterin.
Das entwickelte Spiel beinhaltet zahlreiche solcher Fragestellungen aus der Praxis und regt dazu an, sich Lösungen zu überlegen. Ideal sei es, diese Punkte, möglicherweise mit Hilfe des Spiels, in einer Familienkonferenz auf den Tisch zu bringen. Dabei schade es nicht, wenn man gegensätzliche Meinungen vertrete, betont Sandra Contzen. «Es muss nicht immer alles harmonisch ablaufen. Man darf auch mal ausdrücken, wenn man hässig ist.» Wichtig sei, offen zu diskutieren, tolerant zu sein und Respekt vor dem anderen und dessen Meinung zu haben. Unter diesen Voraussetzungen finde man am Schluss erfahrungsgemäss meist eine für alle befriedigende Lösung.
Beide Generationen sind gefordert
Die Hofübergabe sei ein Prozess, der sowohl für die abgebende als auch für die nachfolgende Generation herausfordernd sei. «In Gesprächen hat sich gezeigt, dass für die Eltern das Loslassenkönnen am schwierigsten ist», hat Sandra Contzen erfahren. Sein Lebenswerk abzugeben, Veränderungen zuzulassen, ins zweite Glied zurückzutreten sei nicht einfach. Hilfreich sei, den neuen Lebensabschnitt mit einer positiven Einstellung und mit Zuversicht anzugehen und den Jungen zuzutrauen, den Betrieb – auf ihre Weise – führen zu können. Auch wer nebst der Arbeit auf dem Hof Interessen, Freunde und Hobbys habe, könne besser mit der neuen Situation umgehen. «In den Interviews äusserten manche älteren Bauern und Bäuerinnen ihre Erleichterung, nicht mehr die Verantwortung tragen und alle Entscheide fällen zu müssen», erzählt die Projektleiterin. Das entlaste und biete Raum für Neues.
Demgegenüber tragen die Söhne oder Töchter, die den Betrieb übernehmen, am Anfang meist schwer an der Verantwortung. Den eigenen Platz zu finden und sich getrauen, eigene Wege zu gehen, sei gar nicht so einfach. «Manche haben mit Schuldgefühlen zu kämpfen, wenn sie den Betrieb umstellen. Aber es ist wichtig, das zu tun, was einem Freude bereitet. Nur den Eltern zuliebe etwas fortzuführen, ist keine nachhaltige Lösung», betont Sandra Contzen.
Um die Situation des andern zu verstehen und sich in seine Lage hineinversetzen zu können, sei es hilfreich, die Perspektive zu wechseln, erklärt sie. Auch da biete das Spiel mit Fragen aus dem Alltag von Bauernfamilien Gesprächsstoff und rege zum Nachdenken an. «Das kann man miteinander oder auch für sich allein tun.» Wertvoll könne zudem die Aussenperspektive sein, etwa indem – je nach Fragestellungen – eine landwirtschaftliche Beratungsperson, ein Treuhänder oder ein Coach beigezogen werde.