Zwischen alt und neu

«Das Jahr ist klein und liegt noch in der Wiege. / Und stirbt in einem Jahr. Und das ist bald», lässt Erich Kästner sein Gedicht zum Januar beginnen. In unseren Tagen liegen Tod des alten Jahres und Geburt des neuen so nahe beieinander wie sonst nie. Wir befinden uns in der Zeit des Nicht-mehr-und-noch-nicht. Es erstaunt einen nicht, dass die sogenannten Rauhnächte zwischen Weihnachten und Dreikönigstag seit jeher als fragile Zeit gelten. Sie waren als Schwellenzeit zwischen den Jahren immer auch mit Angst behaftet. Arbeitsverbote und magische Praktiken sollten den übergang in ein neues Jahr begleiten und beschützen. Ausdruck davon sind auch heute noch Umzüge, oft mit verkleideten und maskierten Gestalten, sowie Lärm und Feuerwerk am Silvesterabend. Auch in der Sprache zeigt sich die Vorstellung eines Dazwischens, das bedrohlich werden kann. «Ghei de nid zwüschache», warnt man sich Ende Dezember. Mind the gap zwischen den Jahren quasi. Lass’ dich nicht vom Alten fesseln, vertraue dich dem Neuen an.

Die zwölf Nächte, welche altes und neues Jahr verbinden, geben uns die Möglichkeit, diesen übergang bewusst zu begehen. Wie man das tun könnte? Die Agenda ruhen lassen. Einen spontanen Besuch machen, statt vorher über WhatsApp nachzufragen, ob es passt. Gewohnheiten aufbrechen, etwas Neues ausprobieren. Ein paar Runden Yatzy spielen, statt Netflix konsumieren. Aufräumen – mit alten Geschichten oder in vollen Schubladen. Und dann: Mit Neugier, Zuversicht und Vorfreude die Agenda hervorholen und noch einmal einen grossen Schritt machen zurück in den Alltag. Das Jahr ist tot, lang lebe das Jahr!

03.01.2020 :: Susanne Kühni (ksl)