Berufe machen Leute

Kolumne:

Wo man auch immer mit fremden Menschen ins Gespräch kommt, wird man spätestens nach zehn Minuten gefragt: «Und, was machen Sie beruflich?» Diese Frage bringt mich immer wieder in Verlegenheit. Da ich meine Woche mit ziemlich unterschiedlichen Tätigkeiten ausfülle, weiss ich nie recht, was ich jetzt eigentlich antworten soll. Bin ich jetzt Gitarrenlehrer, Musiker, Katzen-Dompteur, Komponist, Liedermacher, Leiter eines Kulturzentrums oder gar Schriftsteller? Wie einfach wäre es da doch, wenn man eine einfache Antwort geben könnte wie zum Beispiel: «Ich bin Koch.» Spannend ist jeweils wie mein Gegenüber auf eine entsprechende Berufsbezeichnung reagiert. Da ich mittlerweile den absolut grössten Teil meines Einkommens als Gitarrenlehrer an einer Musikschule erwirtschafte, antworte ich oft einfach: «Ich bin Gitarrenlehrer.» Die Reaktion auf diese Berufsbezeichnung besteht meist aus einem kurzen, mitleidigen Lächeln. Die Wertigkeit dieses Berufs scheint irgendwo zwischen Putzfrau und Hilfsarbeiter zu liegen. Ganz anders ist aber die Reaktion auf die Berufsbezeichnung «Musiker». Die Augen des Gegenübers beginnen zu leuchten und es folgt oft die Frage: «Aha, spielen Sie in einer berühmten Band?» Sobald ich dies verneint habe, nimmt die Begeisterung des Gesprächspartners auch gleich wieder exponentiell ab. Am krassesten ist aber die Reaktion, wenn ich mich als Komponist bezeichne. Deutlich kann ich jeweils wahrnehmen, wie sich der Puls des Gegenübers ins Unermessliche steigert. Er oder sie sieht sich augenblicklich Mozart, Bach oder Beethoven gegenüber. Die Menschen reagieren, als hätten sie soeben Gott persönlich kennen gelernt. Ganz scharf ist jeweils auch die Folgefrage: «Sollte man Sie kennen?» Aber nicht nur Berufe machen Leute, nein, wie man spätestens seit Gottfried Keller weiss, machen auch Kleider Leute. Da ich immer orange Hosen trage, werde ich an jeder Baustelle mit einem lauten «Sälu» freundlich gegrüsst. Die Bauarbeiter sind davon überzeugt, dass da einer von ihnen vorbeigeht. Mehrmals wurde ich mit meinen orangen Hosen auch schon als Gemeinde-Arbeiter identifiziert. Letzten Winter wurde ich auf einem Spaziergang von einer älteren Dame ziemlich aggressiv verbal angegangen mit dem Satz: «Salzen Sie jetzt endlich die Fusswege unserer Gemeinde!» Um diesen ewig gleichen Klischee-Reaktionen auszuweichen, habe ich mir neuerdings angewöhnt, auf die Frage nach dem Beruf einfach zu antworten: «Ich bin Drahtzieher.» Das trifft die Summe meiner Beschäftigungen recht gut und erspart mir zeitraubende und mühsame Erklärungen.



19.12.2019 :: Anton Brüschweiler