Jahreszeiten

Was der Frühling nicht säte, kann der Sommer nicht reifen, der Herbst nicht ernten, der Winter nicht geniessen.

Johann Gottfried von Herder.

Sonntag. Ich schaue aus dem Fenster und es schneit. Graue Wolken, Nässe und Pflotsch. Nicht gerade eine Stimmung für ein heiteres Wochenende. Ist das nicht die Gelegenheit, den Sonntag zu geniessen? Einmal nichts unternehmen zu müssen, daheimbleiben, sich einfach gehen lassen, ein Kaminfeuer anzünden und bei einem Glas Rotwein in die Flammen schauen und träumen, vielleicht von einer Winterzeit, wo es eine trockne Kälte gibt, viel Schnee hat und einen strahlend blauen Himmel.

Jeder Wechsel einer Jahreszeit hat durchaus seine Vorteile und manchmal auch ein paar Wehrmutstropfen. Frühling, Sommer, Herbst und Winter mit ihren charakteristischen Eigenschaften bringen Vielfalt und Abwechslung in unser Leben.

Mögen Sie sich noch an Ihre Schulzeit erinnern? Wie haben die Jahreszeiten doch den Unterricht geprägt. Lieder, wie «Komm lieber Mai…», «Im Märzen der Bauer…», «Auf du junger Wandersmann…», «Bunt sind schön die Wälder…» oder «Der Winter ist ein rechter Mann…» haben den Singunterricht geprägt und für den Zeichenunterricht gab es immer passende Motive, um uns zu begeistern.

Wird man älter, so werden die Jahreszeiten etwas kritischer betrachtet und auch körperliche Beschwerden gespürt. Man wünscht sich die eine Jahreszeit etwas länger als die anderen. Jemand hätte lieber immer Sommer, der andere nur Frühling und Herbst, die wenigsten wohl nur Winter.

Ich habe drei Jahre in Asien gearbeitet und hätte es niemals für möglich gehalten, dass mir die Jahreszeiten fehlen könnten. Doch plötzlich begann ich mich danach zu sehnen. Monatelanger Nebel drückt hier zulande aufs Gemüt, aber das ganze Jahr schönes Wetter, immer 30 Grad und die gleiche Vegetation kann auch recht bedrückend wirken. Das ist meine Erfahrung. Die Jahreszeiten gehören zu unserem Leben, sind Motivator und Wegbereiter. Der Wechsel derer hält uns fit und lässt uns vorwärts schauen, vielleicht auch nur auf die nächste Jahreszeit, die wir am meisten lieben, aber wir bleiben in
Bewegung.

Der Wechsel der Jahreszeiten, von Tag und Nacht, der Blumen und Blüten und der daraus entstehenden Früchte, aber auch unser eigener Lebensweg, der uns weiterbringt, mal hierhin, mal dorthin, dies sind doch alles Triebfedern, die es uns ermöglichen, ein zufriedenes Leben führen zu können. Geniessen wir also bewusst den Wechsel der Jahreszeiten und seien wir nicht hoffnungslos in nur eine Jahreszeit
verliebt.


28.11.2019 :: Oswald Bachmann