Langnau und sein Käse

Langnau und sein Käse
Der Käsehandel war für Langnau vom 18. bis ins 20. Jahrhundert ein wichtiger Wirtschaftszweig. Zeitzeugen sind die noch existierenden Käsehäuser.

Acht private Handelshäuser exportierten den Emmentaler Käse von Langnau aus in die ganze Welt. Im Rahmen der Europäischen Tage des Denkmals organisierte die Regionalgruppe Burgdorf-Emmental des Berner Heimatschutzes einen geführten Rundgang zu den Käsehäusern von Langnau. Unter der Leitung von Madeleine Ryser und Ernst Roth macht sich eine stattliche Schar von Interessierten auf die Suche nach Spuren dieser Langnauer Käsedynastien. Beim Bahnhof richtet Ernst Roth — bis 1998 selbst Leiter einer Käseexportfirma — einleitende Begrüssungsworte an die Spurensucher. Er stellt sich als zwei Viertel «käsig» und zwei Viertel «leinen» vor und bezieht sich damit auf die Herkunft seiner Vorfahren aus zwei wichtigen Emmentaler Wirtschaftszweigen dieser Zeit. Ein erstes Mal setzt sich der rund sechzig Personen zählende Tross in Bewegung. Nach einigen Minuten erreicht die Gruppe das erste Käsehaus. Von hier aus war die Käsehandels- und Lehrerfamilie Lüthi tätig. «Das wichtigste Stockwerk eines Käsehauses ist der Keller», beginnt Ernst Roth seine Erläuterungen. «Mangelnde Alternativen veranlassten die damaligen Bauherren, quasi den Minergie-Standard des 18. und 19. Jahrhunderts zu erfinden, indem sie die Keller in den Boden bauten und damit eine gute Isolation erreichten.» Madeleine Ryser, Leiterin des Regionalmuseums «Chüechlihus» am Langnauer Bärenplatz, bringt den Gästen die Entwicklung des Gebietes rund um den Bahnhof näher. Bis zur Ankunft der Eisenbahn im Jahre 1864 war das Gebiet nur dünn besiedelt. Die Erschliessung setzte erst in der Folge des Bahnanschlusses ein. Die Bahn war auch für die Transportbedürfnisse der Käsehandelsfirmen sehr wichtig.

Langnau und die Patrizier

Auf dem Weg zum nächsten Halt betrachten wir ein weiteres Käsehaus aus dem 19. Jahrhundert. Wir sehen eines der typischen ausladenden Vordächer, die dafür sorgten, dass der Käseumschlag «am Schärme» stattfinden konnte. Beim nächsten Standort angekommen, dem Gebäudekomplex Lemann, tauchen wir mit Madeleine Ryser noch tiefer in die Geschichte Langnaus ein.Der Oberemmentaler Ort, der im Jahre 1139 erstmals urkundlich erwähnt wurde, war vermutlich schon früh kein reines Bauerndorf mehr, sondern ein mit Handel und Gewerbe durchmischtes Zentrum für die Region. Das Marktrecht, das die Langnauer im Gegensatz zu anderen Orten behielten, wurde im Jahr 1467 bestätigt. Bis in die heutige Zeit werden in Langnau sechs grosse Jahrmärkte durchgeführt. Insbesondere im 18. Jahrhundert baute Langnau seine Stellung als Wirtschaftsstandort aus. Zu dieser Zeit war die Emmentaler Käsemetropole mit 3700 Einwohnern grösser als alle anderen Berner Landstädte. Einzig Sumiswald mit 3100 Personen vermochte mitzuhalten und war damals der fünftgrösste Ort im alten Bern. «Das Verhältnis der Langnauer zu den Berner Patrizier war angespannt. Die sinnesfreudigen und freidenkenden Emmentaler hiessen dann auch die änderungen, die Napoleon mit sich brachte, herzlich willkommen», lässt uns Madeleine Ryser wissen. Langnau wurde nach dem Fall des alten Bern 1798 der Hauptort des helvetischen Distrikts Oberemmental.



Die Käserei in der Vehfreude
«Um Langnau herum hatte es die berühmten, bekannten, grossen, graswüchsigen und milchigen Alpen», mit diesem Satz holt uns Ernst Roth ins Hauptthema des Rundganges zurück. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts gab es fast keine Talkäsereien. Die Käseherstellung war den älplern vorbehalten. Als eine der ersten Käsereien im Flachland wurde 1850 die Käserei in Lützelflüh eröffnet, direkt vor Gotthelfs Augen. Die Beobachtungen rund um diese Käserei inspirierten den grossen Emmentaler Dichter zu seinem Roman «Käserei in der Vehfreude». Was ihm dabei an Wissen über den Käsehandel fehlte, erfragte Jeremias Gotthelf bei gelegentlichen Besuchen beim Burgdorfer Käsehändler Heinrich Fehr, dem Ururgrossvater unseres heutigen Rundgangleiters Ernst Roth. «Dort hat Gotthelf viel über die Gepflogenheiten und Ungepflogenheiten sowie die Gereimtheiten und Ungereimtheiten des Käsehandels erfahren», sagt Ernst Roth über diese Besuche.

Der Keller war der wichtigste Raum
Zum Gebäudekomplex einer Käsehandelsfirma gehörte neben dem eigentlichen Käsehaus ein separates Gebäude mit Pferdestall und Wagenremise. Im Haupthaus waren die Keller die wichtigsten Räume. Hier wurde der Käse gelagert und konnte reifen. In die Keller transportiert wurden die Käse durch eine Aussparung über Rutschen. Bis zur Einführung der Warenlifte blieb für den Transport aus dem Keller nur der Mensch mit einem Räf am Rücken. über den Kellern waren im Erdgeschoss der Käsehäuser häufig die Konfektionierungs- und Speditionsräume untergebracht. Neben Büros boten die Häuser auch Platz für die Wohnungen der Käsehändlerfamilien. Mit zunehmendem Erfolg zogen die erfolgreichsten Käsehändler später zusammen mit ihren Familien — wie die reichen Bauern im Mittelland — in separate, herrschaftliche Häuser, welche als «Herrenstock« bezeichnet wurden. Im Dachstock der Käsehäuser schliesslich waren häufig die Holzlager untergebracht. Die Dachgeschosse boten ideale klimatische Bedingungen für das Holz, welches für die Käsekübel benötigt wurde.

Neue Entwicklung durch Schmelzkäse
Die wichtigen Käsehäuser sandten ihre Verkäufer in die weite Welt hinaus. Die Konkurrenzsituation und der Fakt, dass alle, auch die nicht Verschwägerten, alles von allen wussten, führte dazu, dass morgens die Händlervertreter in drei verschiedene Himmelsrichtungen aufbrachen, sich aber abends im selben Hotel einer Weltstadt zur übernachtung einfanden. Eine neue Entwicklung im Käsehandel wurde mit der Erfindung des Schmelzkäses im Jahr 1911 eingeläutet. Dafür zuständig war die Familie Gerber, die zuvor von Gohl nach Thun «ausgewandert» war. Je nach Quelle war die bessere Tropentauglichkeit oder die Verwertung minderwertiger Käsestücke für die Entdeckung des Schmelzkäses verantwortlich. Für Ernst Roth liegt die Wahrheit in der Mitte. Auch in Langnau wurde von der Firma Röthlisberger & Sohn früh guter Schmelzkäse hergestellt. Bei diesem Familienbetrieb waren die Vorfahren unserer Rundgangsleiterin Madeleine Ryser-Röthlisberger tätig. Heute stellt die Emmi in Langnau, als einzigem Schweizer Produktions-Standort, Fondue und Schmelzkäse her. Beim ehemaligen Käsehändler Gebrüder Joost führt heute die Gourmino AG den Käsehandel weiter. Die Firma, ein Zusammenschluss von Käsergruppen vorwiegend aus der Ostschweiz, hat sich in Marktnischen gut positioniert. Sie bietet Käse mit besonderem Reifegrad an, in dem viel Arbeit und Know-how steckt, der aber weniger dem allgemeinen Preisdruck unterlegen ist.
Unser Rundgang durch die Geschichte der Langnauer Käsedynastien geht zu Ende. In einem als Dependance des «Bären» gebauten Gebäude besichtigen wir einen ehemaligen Käsekeller, der sich noch nahezu im Originalzustand befindet. Das im Vergleich zu draussen unterschiedliche Klima ist gut wahrnehmbar. Es wird vermutet, dass der relativ kleine Keller zur Lagerung von Gruyère gebraucht wurde. Dass dieser Käsekeller an Föhntagen für den ausgeprägten Käseduft in Langnau besonders verantwortlich war, ist allerdings ein böses, nicht bestätigtes Gerücht. Auf dem Bärenplatz mit Blick auf den Gasthof Bären und das «Chüechlihus» endet unser Rundgang. Im Regionalmuseum «Chüechlihus» lässt sich übrigens das soeben über die Langnauer Käsehäuser erfahrene ideal vertiefen. 
17.09.2015 :: Christian Thomi