Dem Verlorenen nachgehen

In der Bibel gibt es folgende wunderbare Geschichte. Da hat jemand 100 Schafe. Eines macht nicht mehr mit. Vielleicht ist es ein Einzelgänger. Es will nichts von der Herde wissen. Vielleicht ist es über seinen Hirten zornig, weil es sich wegen seines Benehmens unsympathisch macht. Vielleicht ist es äusserst «gwundrig», wie es ausserhalb der Herde in Wirklichkeit aussieht. Vielleicht denkt es sich: «Mein Hirt mag ein guter Hirt sein. Aber er mag mir die fetten Weiden nicht gönnen.» Oder auch: Das eine Schaf will endlich selbständig werden. Es könnte durchaus auch sein, dass es hellhörig geworden ist: Da soll es nämlich Orte geben, die viel schöner, viel fruchtbarer, viel tierfreundlicher sind. «Dies will ich nun aus eigener Initiative auskundschaften.» Dieses eine Schaf hat vergessen, dass es ohne die anderen und besonders ohne den Hirten gar nicht leben kann. Dieser bekommt Heimweh nach seinem verlorenen Schaf. Denn jedes ist ihm wichtig und deswegen kann er es nicht tolerieren, dass eines einfach «abhaut». Oder auch: Seine Beziehung zu den einzelnen Schafen ist so stark, dass er auf die Suche geht. Es ist nicht in erster Linie ein wirtschaftliches Interesse.

Sollten wir nicht über dieses biblische Gleichnis nachdenken und uns fragen: «Was bedeutet uns diese Geschichte heute?» Eines ist sicher: Sie lädt uns ein, über unsere Einstellung zu den Mitmenschen nachzudenken. So gerne teilen wir doch unsere Mitmenschen ein – nach Herkunft, nach Hautfarbe, nach Beruf und so weiter. Die Feststellung ist nicht von der Hand zu weisen: «Auf der weiten Welt treffen wir die verschiedensten Kostgänger an.» Trotz allem: Alle Menschen sind Geschöpfe Gottes. Achtung voreinander ist ein Grundwert des christlichen Glaubens. Damit dies niemals verloren geht – dazu lädt uns der gute Hirte ein.


12.09.2019 :: Jakob Zemp