Wisconsin und das Emmental – durch Käse und Vorfahren verbunden

Wisconsin und das Emmental – durch Käse und Vorfahren verbunden
Langnau: Von 1850 bis 1950 sind viele Schweizer in die USA ausgewandert. Nachkommen aus dem «Käse-Städtchen» Monroe in Wisconsin besuchten nun die Heimat ihrer Vorfahren.

«Die Emmental is sehr schön, so peacefull.» So und ähnlich tönte es letzten Samstag, als eine 46-köpfige Reisegruppe aus Monroe in Langnau eintraf. Die Kleinstadt liegt im US-Bundesstaat Wisconsin, westlich vom grossen Michigansee. In den letzten zehn Tagen besuchte die Gruppe die Innerschweiz, das Tessin und das Berner Oberland. Die Gäste sind Nachkommen in der zweiten bis fünften Generation von Schweizerinnen und Schweizern, die zwischen 1850 und 1950 mangels wirtschaftlicher Perspektiven die Schweiz verliessen und in übersee ihr Glück suchten. Sie wurden von der Trachtengruppe Gohl mit Tanz und Musik empfangen. Die Besucher ihrerseits erfreuten die Gastgeber mit deutschsprachigen Liedern, jeder in dem Dialekt des Heimatkantons seiner Vorfahren.

Der Käse verbindet
Die Schweizer Einwanderer bauten 1861 in Monroe eine zweistöckige Turnhalle. Oben wurde geturnt und gesungen, im unteren Stock ein Restaurant betrieben. Laut Hans Bernet, der noch ordentlich deutsch spricht und als Reiseleiter der Gruppe wirkt, hat sich aus diesen Anfängen mit der Zeit ein Gemischter Chor mit dem Namen «Swiss Singers» entwickelt. Dieser Chor pflegt das Schweizer Liedgut und möchte es an die nächste Generation weitergeben. Auch beim Cheesefestival in Monroe (siehe Kasten) werden die Schweizer Traditionen gepflegt. Es wird drei Tage lang gefestet, gesungen, gejodelt und Fahnen geschwungen. Im Zentrum des Festivals steht der «Swiss Cheese». Darunter verstehen die Stadtbewohner Emmentaler Käse. Die übrigen Käsesorten werden als «Cheddar» bezeichnet. Als Höhepunkt des Festes gilt ein dreistündiger Umzug.
Es ist denn auch der Käse, der die Besucher ins Emmental führte. «Wir suchten den Kontakt mit Gleichgesinnten und fanden ihn mit der Trachtengruppe Gohl. Das ermöglicht uns, wieder einmal unsere ehemalige Muttersprache zu sprechen. Und wir hoffen, dass durch diese sehr interessanten, angenehmen Kontakte auch unsere Jungen vermehrt Interesse an der Geschichte ihre Vorfahren und den damit verbundenen Traditionen haben werden», sagt Hans Bernet, dessen Vorfahren aus dem Berner Oberland stammen.

Die «alte Heimat» gefällt
Der Urururgrossvater von Pamela Stauffacher-Dole ist in Matt bei Elm aufgewachsen. «Die Schweiz ist wundervoll, ich habe sie so angetroffen, wie sie bei uns in Prospekten dargestellt wird», hält sie fest. Sie ist überrascht, wie viele verschiedene Landschaften, Sprachen und Kulturen sie auf kleinstem Raum angetroffen hat.

Vor 94 Jahren ausgewandert
Die Grossmutter von Deborah Krauss wanderte 1921 aus dem Aargau in die USA aus und arbeitete dort zunächst als Kindermädchen. Sie erzählte ihrer Enkelin viele Geschichten über die Schweiz und Deborah stellt heute fest, dass sie sich auf ihrer Reise durch die Schweiz wie zu Hause fühlt. «Die Leute denken und handeln gleich wie wir Auslandschweizer. Ich habe das sehr schöne Gefühl, wieder nach Hause gekommen zu sein», sagt sie. Bobbie Bernet wiederum schwärmt von der grünen Landschaft, den hohen, dunklen, bewaldeten Hügeln und den prächtigen Holzbauten mit Geranien vor den Fenstern und fügt an: «Alles sieht so geordnet und sauber aus und die Leute hier im Emmental sind sehr nett, sprechen wohlüberlegt und strahlen Ruhe und Zufriedenheit aus.»

Grosse Reisepläne

Peter Röthlisberger, Präsident der Trachtengruppe Gohl, ist sichtlich stolz über die Begeisterung und Zufriedenheit der Besucher aus übersee. Sein Verein wird der Einladung Folge leisten und nächstes Jahr Monroe einen Gegenbesuch abstatten. Etwa drei Viertel der Vereinsmitglieder würden die Reise mitmachen können, einige davon mit Anhang. Nicole Kunz, Vereinsmitglied und der englischen Sprache mächtig, ist für das Organisatorische zuständig. «Wir werden Farmen und Betriebe der Käseproduktion besuchen und als Höhepunkt am dreitägigen ‹Cheesefestival› auftreten. Zurzeit suchen wir noch eine Musikformation, die uns mit örgeli, Klarinette und Bassgeige zum Tanz aufspielen wird. Es wird dort viele Besucher geben und deshalb ist das Hotel bereits gebucht», hält sie freudestrahlend fest.
Die Schweizer prägten Amerika mit

Zwischen 1850 und 1950 kamen laut der US-Aufzeichnungen gut 293’000 Schweizer in den USA an, 82’000 allein in den Jahren 1881 bis 1890. Dieses Jahrzehnt war die Zeit des grossen Umbruchs in Europa. Die Welt kam aus einer grossen wirtschaftlichen Depression heraus. Es kam in Europa zu grossen politischen und sozialen Spannungen, hervorgerufen durch die industrielle Revolution und eine Bevölkerungsexplosion. Amerika war ein beliebtes Auswanderungsziel. Die Industrialisierung breitete sich dort grossräumig aus und es waren viele Arbeitskräfte nötig. Die Staaten im mittleren Westen wurden für die Landwirtschaft zugänglich.
Viele junge Schweizer Landwirte aus Grossfamilien mussten mangels eigenem Heimwesen auswandern. In der neuen Heimat erhielten sie unentgeltlich Land. Mit ihnen zogen auch Fachkräfte wie Käser «in die neue Welt», um ihr Glück zu versuchen. Bereits 1845 gründeten 150 Immigranten aus dem Glarnerland im Bundesstaat Wisconsin New Glarus. 1847 folgte die Gründung von Monroe. Diese Stadt zählt heute gut 10’000 Personen und trägt den Spitznamen «Schweizer Käsehauptstadt der USA». Gut ein Viertel der Einwohner haben Wurzeln in der Schweiz. Milchwirtschaft und Käseproduktion sind wirtschaftliche Eckpfeiler in diesem ländlichen Gebiet westlich vom Michigansee. Das alle zwei Jahre stattfindende «Cheesefestival» lockt über 100’000 Besucher an. Schweizer Namen wie Siegenthaler, Krähenbühl (heute manchmal Graybill genannt), Wälti, Stauffacher, Bernet oder Anderegg prägen das lokale Telefonbuch.
17.09.2015 :: Walter Marti (mwl)