Hangmuren im Winter dürften sich häufen

Hangmuren im Winter dürften sich häufen
Diese Hangmure ereignete sich im Januar 2021 im Ausserdorf, Signau. / Bild: zvg
Emmental?/?Entlebuch: Mehr Regen, weniger Schnee: Im Winter steigt die Gefahr von Hangmuren. Warum unsere Region geologisch besonders anfällig ist, erklärt ein Experte.

«Die Zunahme von Hangmuren im Winter ist auffällig», sagt Thomas Ninck. Der diplomierte Geologe und Mitautor der geologischen Kartenblät­ter Langnau und Sumiswald arbeitet beim Amt für Wald und Naturgefahren des Kantons Bern und beschäftigt sich seit 20 Jahren mit dem Thema. «Hangmuren und Murgänge haben gemeinsam, dass sich bei starken Niederschlägen wasserdurchtränktes Erdmaterial plötzlich löst und hangabwärts fliesst.» Ein Murgang entstehe in einem Gerinne, eine Hangmure löse sich an einem ausreichend steilen Hang ausserhalb von Gerinnen, erklärt Ninck. «Durch die hohe Wassersättigung verflüssigt sich das Bodenmaterial und fliesst als Schlamm-Wasser-Gemisch talabwärts. Hangmuren treten erst ab einer kri­tischen Hangneigung von 20 bis 25 Grad auf.» Als Grundvoraussetzung brauche es mobilisierbares Boden­material. Auf einer Felsoberfläche ohne lockere Bodenschicht könnten keine Hangmuren entstehen, so der Experte.


Geologie begünstigt Hangmuren

Starke Niederschläge und Regen bis in grosse Höhen seien der Hauptgrund für die Zunahme im Winter. Wenn eine Schneedecke innert kurzer Zeit durch Regen wegschmilzt, komme viel Wasser zusammen. «Zudem sickert im Winter mangels Verdunstung und Abgabe über Pflanzen mehr Wasser in den Untergrund, wo es sich über wasserundurchlässigen Schichten stauen kann», führt der Geologe aus. Ein prägendes Beispiel habe es vor mehreren Jahren in Wasen gegeben. Nach einem starken Gewitterregen sei es zu zerstörerischen Hangmuren mit hohen Sachschäden gekommen – ohne Personenschäden. «Beim Niederschlagsgeschehen sind Änderungen im Gange, die Hangmuren nicht unwahrscheinlicher machen», sagt Thomas Ninck. «Die geologischen Eigenschaften der Region begünstigen Hangmuren besonders. In vielen steilen Hängen und Gräben folgt unter der dünnen Bodenschicht – vielerorts ist der Boden nur 0,5 bis 1 Meter dick – direkt der Molassefels», erklärt Ninck. Dieser bestehe neben der typischen Nagelfluh (verfestigtes Geröll) aus Sandsteinen und Mergel (tonhaltiges Gestein). «Gerade die Mergel werden bei hohem Wassergehalt schmierig und damit besonders anfällig.» Versickerndes Regenwasser staue sich über dem Fels und führe schneller zu einer Wassersättigung des Bodens. In der Folge könne der Boden als Schlammlawine (Rüfe) abgleiten. «Diese Situation haben wir in dieser Region häufig», sagt Ninck. Weitere Faktoren seien Vernässungen und Quellaustritte, während Wald mit seinem dichten Wurzelwerk stabilisierend wirke. Auf der anderen Seite könnten intensive Nutzung oder starke Beweidung mit Trittschäden die Auslösung begünstigen. «Bevorzugt treten Hangmuren an Standorten auf, wo wenig Erde den Fels bedeckt. Mulden sind in der Regel anfälliger als Kuppen.»

Anzeichen könnten Risse und Spalten sein, die sich öffnen, betont Ninck. «Prognosen darüber, wann und wo eine Hangmure abgeht, sind aber noch nicht möglich.» Je nach Stand-ort könne schon ein intensives Ge­witter zur Auslösung führen. Bei feuchtem Boden reiche unter Umständen bereits ein geringeres Niederschlagsereignis.


Gefahrenkarten geben Aufschluss

Das einfachste Mittel, eine Gefährdung zu erkennen, seien die Gefahrenkarten für das Siedlungsgebiet. «Die Gemeinden der Kantone Bern und Luzern haben solche Karten», sagt Ninck. Für die Gebiete ausserhalb der Siedlungszonene gebe es Gefahrenhinweiskarten. «Diese sind auf dem Geoportal der Kantone frei zugänglich – wie auch alle registrierten Ereignisse.» Die Gefährdung erstrecke sich über den gesamten steilen Hang, aber auch den darunterliegenden Hangfuss. «Hier lagert sich der feste Anteil der Hangmurenmasse ab und es kommt zum Auslaufen von Wasser sowie zur Ablagerung von mitgeführtem Ma­terial wie Schlamm, Steinen und Pflanzenteilen», erklärt der Geologe. Gefahrenkarten seien ein wichtiges Element der Raumplanung. «Bei Bauten in Gefahrengebieten ist darauf zu achten, dass auf der Hangseite keine Türen im Erdgeschoss realisiert werden. Die hangseitige Fassade muss statisch so ausgebildet werden, dass sie den Einwirkungen einer Hangmure standhält – oft mit einer Stahlbetonwand.»


Keine Entspannung in Sicht

«Die geologischen Voraussetzungen für Hangmuren ändern sich nicht, die auslösenden Faktoren – vor allem das Niederschlagsgeschehen – aber sehr wohl», erklärt Thomas Ninck. Die Gemeinden seien sich ihrer Verantwortung bewusst. «Sie steuern die Siedlungsentwicklung und ergreifen nötigenfalls Schutzmassnahmen.»

06.11.2025 :: Remo Reist (rrz)