«Innehalten und herausfinden, was einem wirklich wichtig ist im Leben»

«Innehalten und herausfinden, was einem wirklich wichtig ist im Leben»
Ein Schritt in die richtige Richtung: Das tun, was Freude macht. / Bild: Shutterstock
Oberdiessbach: Ist der Alltag zunehmend von Einschränkungen bestimmt, spricht man von der vierten Lebensphase. Wer sich darauf vorbereitet, kann sein Wohlbefinden verbessern.

«Wie wir uns im dritten auf das vierte Lebensalter vorbereiten können», so hiess der Bildungsanlass des Seniorennetzwerks Oberdiessbach am Dienstagabend. Referent war Jonathan Bennett, Co-Leiter des Instituts Alter an der Berner Fachhochschule. Sich früh genug mit dem letzten Lebensabschnitt auseinanderzusetzen lohne sich, ist er überzeugt.


Herr Bennett, das Alter wird aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung in zwei Phasen eingeteilt. Wie unterscheiden sich diese?

Nach der Berufstätigkeit sind viele Menschen noch gesund, aktiv und mobil, im Gegensatz zur vierten Lebensphase. Diese beginnt nicht mit einem bestimmten Alter, sondern dann, wenn die Eigenständigkeit an Grenzen stösst und wir mehr Unterstützung brauchen. Die Langlebigkeit ist historisch betrachtet ein junges Phänomen, und deshalb haben wir als Gesellschaft noch wenig Normen und Leitbilder für die Gestaltung dieser Lebensphase.


Plädieren Sie deshalb dafür, sich auch als Gesellschaft mit der vierten Lebensphase zu befassen?

Die öffentlichen Diskussionen drehen sich oft um negative Aspekte der älter werdenden Gesellschaft – Stichworte AHV-Finanzierung, Pflegenotstand, Gerontokratie. Doch das ist nur die eine Seite. Hinter der Langlebigkeit steht vor allem ein enormer Gewinn an gesunden Lebensjahren im Alter. Das hat viel Positives zur Folge, zum Beispiel mehr freiwilliges Engagement für die Gesellschaft und Unterstützung in der Familie, etwa bei der Kinderbetreuung.


Menschen in der dritten Lebensphase sind häufig sehr aktiv. Sie reisen, treiben Sport, pflegen Hobbys, sind engagiert. Sich um die Zeit danach zu kümmern, wirkt da wenig attraktiv.

Es ist ein Privileg des dritten Alters, relativ unabhängig über seine Zeit verfügen zu können. Ich finde es verständlich und legitim, wenn Leute nach der Pensionierung Dinge nachholen. Es geht nicht darum, dauernd über Krankheit, Verlust und Tod nachzudenken. Aber man könnte nach der Pensionierung einen Moment innehalten, um herauszufinden, was einem noch wirklich wichtig ist im Leben. Sinnstiftende Aktivitäten geben dem Menschen eine tiefe Form der Befriedigung.


Trotzdem, Beschwerden werden zunehmend den Alltag bestimmen.

Ja, Einschränkungen im Alter werden kommen, daran lässt sich auch mit Vorbereitung nichts ändern. Deshalb unterscheide ich zwischen Gesundheit und Wohlbefinden. Wenn ich mit den gesundheitlichen Beschwerden so umgehen kann, dass sie nicht mein ganzes Leben prägen, steigert dies mein Wohlbefinden. Wichtig dabei ist der Kontakt zu Mitmenschen. Wer gute soziale Kontakte pflegt, ist mit seinem Leben insgesamt zufriedener, auch wenn er oder sie mit Einschränkungen umgehen muss. Deshalb lohnt es sich, frühzeitig in Beziehungen zu investieren.


Und wie kann man sich sonst noch für die schwierigeren Zeiten wappnen?

Ein wichtiger Punkt ist, sich mit seiner Lebensgeschichte auseinanderzusetzen. Dazu gehört auch die Versöhnung mit seiner Vergangenheit und mit den Mitmenschen. Das Wohlbefinden kann ebenfalls gesteigert werden, wenn man neugierig bleibt, Freude hat an neuen Erfahrungen und Begegnungen zulässt. Sinnstiftend ist weiter der Austausch mit der jüngeren Generation, wenn man Wissen und Lebenserfahrung teilen kann. Ein alter Mensch erfährt oft Sorge in Form von Pflege und Betreuung. Doch er möchte nicht nur empfangen, sondern auch für andere da sein.


Bisher haben Sie nicht über gesundheitliche Aspekte wie Bewegung und Ernährung gesprochen.

Diese Faktoren spielen natürlich eine wichtige Rolle. Wenn ich mich bewege und gesund ernähre, erhöht dies die Chance, dass ich Dinge, die mir etwas bedeuten, lange tun kann. Doch rund um das Thema «Fit im Alter» gibt es bereits zahlreiche Angebote, das ist im Bewusstsein der Leute vorhanden.


Wäre es wichtig, auch für die mentale Vorbereitung Angebote zu entwickeln – beispielsweise durch die Politik?

Angebote der Altersarbeit können Menschen ermutigen, sich mit der eigenen Biografie auseinanderzusetzen und zu planen, wie man den letzten Lebensabschnitt verbringen möchte.  Wichtig bei allen Angeboten ist die Teilhabe der älteren Generation. In den letzten Jahren hat hier ein Umdenken stattgefunden und vieles wird richtig gemacht durch die Altersbeauftragten der Gemeinden. Es werden nicht mehr nur Aktivitäten bereitgestellt, sondern Angebote im Dialog mit der älteren Bevölkerung erarbeitet. So kann man auch auf die echten Bedürfnisse eingehen.

06.11.2025 :: Silvia Wullschläger (sws)