Ein Jahr seines Lebens hat Ballonpilot Andy Hunziker insgesamt in der Luft verbracht. Hier heizt er den Ballon auf, um nicht zu sinken oder höher zu steigen. / Bild: Remo Reist (rrz)
Heimisbach: Ballonpilot Andy Hunziker erhielt gestern Mittwoch die weltweit höchste Auszeichnung der Luftfahrt. Seit 50 Jahren schwebt er über das Emmental.
Von seinem Haus aus hat man den Blick über das Emmental. Es ist jene Landschaft, die Andy Hunziker vom Ballonkorb aus entdeckte und irgendwann wusste, dass er hier leben möchte. «Ich habe viele Häuser angeschaut», erzählt der 74-Jährige. «Dieses war eine verlotterte Hütte, aber die Lage war genau richtig.» Seit 20 Jahren ist das inzwischen renovierte Bauernhaus zwischen Heimisbach und Wasen nun sein Zuhause.
Gestern Mittwoch erhielt Berufspilot Hunziker in Helsinki das Paul Tissandier Diplom des Weltluftsportverbands FAI. Das sei in der Luftfahrt die höchste Auszeichnung, sagt er mit ruhiger Stimme. Er habe nie damit gerechnet und freue sich, dies erleben zu dürfen.
Ein Leben zwischen Himmel und Erde
50 Jahre ist es her, dass Andy Hunziker seine Ballonausbildung begann. Schon als Zwölfjähriger bastelte er einen Deltasegler aus Bambus und Packpapier, der ihn etwa zehn Meter weit getragen habe, «mit einer unsanften Landung», wie er sagt. Mit 17 folgte ein Heissluftballon aus Gewächshausfolie – diese erste Landung sei in einem Kirschbaum erfolgt. Mit 22 Jahren stieg er dann zum ersten Mal in einen Gasballon. Das Fliegen lag ihm im Blut, seine Mutter war 1950 eine der ersten Segelfliegerinnen der Schweiz, eine Pionierin in einer Männerdomäne.
1979 gründete Hunziker die Ballongrup-pe Vordemwald im Kanton Aargau, später die Balloon Air AG. Er fuhr das erste funktionstüchtige Luftschiff der Schweiz, ein Werbeluftschiff, das er über Schweizer Städte steuerte. Das galt damals als Sensation. 1993 begleitete ihn «Schweiz aktuell» eine Woche lang im Heissluftballon. Kurt Schaad vom Schweizer Fernsehen sei fast ausgeflippt, erinnert sich Hunziker, «denn die Sendung interessierte mehr Leute als die Tagesschau». Noch heute sind diese Sendungen unter play.srf.ch abrufbar.
Expeditionen ins Extreme
Seine spektakulärsten Momente spielten sich in eisiger Höhe ab. Hunziker wagte, was vor ihm niemand in der Schweiz versucht hatte: Hochalpentraversierungen mit bis zu zwölf Passagieren. Es seien Expeditionsfahrten über Eiger, Mönch und Jungfrau gewesen, dann über den Monte Rosa und das Matterhorn mit der Landung in der Po-Ebene bei Turin. Fünf bis acht Stunden dauerten diese Fahrten, in Höhen von 5000 bis 7000 Metern, mit Sauerstoffmasken.
Die Bodenwinde in der Po-Ebene seien einmal so stark gewesen, dass sie 270 Meter lang über das gepflügte Reisfeld über den Boden geschleift worden seien, erinnert er sich. Ein anderes Mal ging der Nebel über der Ebene nicht weg. «Dann gingen wir ganz langsam durch den Nebel gegen unten. Man muss einfach immer ruhig und geduldig bleiben», erzählt er.
Er habe in den 50 Jahren nie einen kaputten Ballon gehabt und es habe sich nie ein Passagier verletzt, sagt Hunziker, und dahinter stecke eiserne Disziplin. «Ich analysiere noch heute jede einzelne Fahrt», erzählt er. Vorher studiere er akribisch die Wetterlage und könne den Landeplatz auf etwa einen Quadratkilometer genau voraussagen.
Charakter und Verantwortung
6500 Landungen zählt Hunziker bis heute – stundenmässig war er damit fast ein ganzes Jahr seines Lebens in der Luft. 27 Ballonhüllen hat er in seinem Leben benötigt, eine Hülle hält 200 bis 300 Fahrstunden
und kostet etwa 70´000 Franken. Und er hat unzählige Piloten ausgebildet. Auch solche, die sehr gut geworden seien, sagt er mit etwas Stolz.
Ein Ballonfahrer müsse die ganze Familie im Hintergrund haben, erklärt er ernst. «Am wichtigsten ist jedoch die Rückholmannschaft, die uns während der Ballonfahrt begleitet. Diese Leute stehen freiwillig nachts um 3.00 Uhr auf; in den 50 Jahren kam nie jemand zu spät.» Praktisch das ganze Wochenende sei verbucht, aber man fliege dann doch häufig nicht. Der Zeitaufwand sei riesig, ebenso die Verantwortung. «Es gibt Abstürzende, die allzu selbstsicher waren und dachten, heute passiere eh nichts.» Für Hunziker ist aber klar: «Du darfst nichts riskieren!» Einmal, bei einem Massenstart mit 60 Ballonen, packte Hunziker im letzten Moment wieder alles zusammen. Zu Recht, wie sich später zeigte. Er war der einzige, der nicht startete – etliche Passagiere aus den anderen Ballonen landeten im Spital.
Was macht einen guten Ballonpiloten aus? Die Verzögerungszeiten bräuchten ein gutes Gefühl, das einfach nicht alle gleich entwickeln könnten, erklärt Hunziker. Ein kleiner Ballon reagiere nach wenigen Sekunden, ein grosser brauche mehr als eine Minute. «Man muss also mehr als eine Minute vorher richtig einheizen.» Und wer grosse Ballone fahre, bräuchte eigentlich mindestens 1000 Fahrten Erfahrung.
Die Liebe zum Emmental
Das Emmental ist für Hunziker mehr als nur eine schöne Landschaft. Die Region sei einerseits nahe bei den Bergen, zudem sehr anspruchsvoll wegen der Topografie – die lokalen Windströmungen verlangten ausgeprägte Technik. Aber es seien auch die Menschen, schwärmt der Aargauer. Heute fährt Andy Hunziker nur noch mit kleinen Ballonen. Die Zeit der grossen Abenteuer, der Riesenballone mit 20 Passagieren, ist vorbei. Doch vermissen tue er nichts. «Ich habe nichts auf später verschoben und keine unvollendeten Träume mehr – ich habe mit einer extremen Intensität gelebt und bin glücklich.»
Draussen zieht eine Nebelbank über die Hügel, «die Bise hat heute fürs Ballonfahren zu viel Kraft», sagt Andy Hunziker. Er starte gerne im Sommer beim Sonnenaufgang oder im Winter am frühen Nachmittag, weil dann die Fernsicht im Normalfall einfach nochmals besser sei. Nach 50 Jahren kennt er Wind und Wolken wie kaum ein anderer.