Hahn Emil wurde das schmerzende Bein mit Tape fixiert. So kann er wieder ein unbeschwertes Leben führen. / Bild: Rebekka Schüpbach (srz)
Obergoldbach: Mit ihrem Lebenshof hat sich die Familie Schwarz einen Traum verwirklicht. Es ist ein Bauernhof mit Tieren, die nicht mehr nützen müssen.
Auf einem idyllischen Flecken Erde in Obergoldbach, 900 Meter über Meer, liegt der Bruffhof. Es ist ein Nebenerwerbsbetrieb mit acht Hektaren Land und auf den ersten Blick ein Hof wie andere auch. Erst beim Hofrundgang mit den Schwestern Miriam und Carolin Schwarz fallen Unterschiede auf: Hahn Emil etwa stolziert mit einem leuchtend blau eingebundenen Bein herum. «Emil hat Arthrose im Bein. Das Tape unterstützt ihn beim Gehen», erklärt Miriam Schwarz. Das Tierwohl hat für alle in der Familie oberste Priorität. Sogenannte «Nutztiere» gibt es hier nicht mehr.
Von Milchwirtschaft zum Lebenshof
Das war früher anders: Vater Franz, 62 Jahre alt und bis heute Betriebsleiter, übernahm den Hof von seinem Vater als Milchviehbetrieb. Zusammen mit seiner Frau Rita stellte der Landwirt später auf Mutterkühe um sowie Rinderaufzucht. Besonders für die Töchter eine Herausforderung: «Am meisten Mühe hatten sie jeweils, wenn die Tiere zum Metzger gebracht wurden», erinnert sich der Vater. Deshalb forderte er sie eines Tages auf: «Schlagt eine bessere Lösung vor!» Einzige Bedingung: Der Betrieb muss selbsttragend bleiben. Gewinn abwerfen musste er nur deshalb nicht zwingend, weil alle vier zusätzlich auswärts arbeiten. 2020 beschloss die Familie Schwarz nach längerem Prozess und mit Unterstützung des Zürcher Lebenshofs «Hof Narr» das Projekt «Lebenshof Bruffhof» in Angriff zu nehmen. Das Ziel: Alle bisherigen Tiere sollen auf dem Hof bleiben und alt werden dürfen, ohne einen Nutzen erbringen zu müssen. 2021 kamen als letzte Kälber ein Zwillingspaar zur Welt. Deren Mutter Bitta, mit Jahrgang 2014 die älteste Kuh im Stall, ist gleichzeitig die Lieblingskuh der Eltern. «Für sie war schon vor der Umstellung klar, dass Bitta bis zu ihrem Lebensende auf dem Hof bleiben darf», erzählt Miriam Schwarz. «Die Frage, warum ein auserkorenes Tier bleiben darf und alle anderen aber nicht, läutete schliesslich unsere Transformation zum Lebenshof ein.»
«Patenschaften helfen»
Die Umstellung brachte einige Herausforderungen mit sich. Als erstes mussten sie schweren Herzens die Zusammenarbeit mit einer anderen Bauernfamilie beenden, deren Rinder sie aufzogen. Zusätzlich wurde die Fütterung ihrer Tiere angepasst, damit sie nicht zu schwer wurden und dadurch gesundheitliche Probleme bekamen. Ein zentraler Punkt war und ist die Suche nach Patinnen und Paten für möglichst viele der Kühe, Ziegen, Hühner und Kaninchen. Dabei erwiesen sich Social Media, eine ansprechende Homepage und Miriams Erfahrung als gelernte Fotografin und Journalistin als sehr hilfreich, um den Lebenshof bekannt zu machen. «Die Paten kommen aus der ganzen Schweiz», berichten die Schwestern. «Die Tierpatenschaften helfen, Kosten, wie beispielsweise Tierarzt und Fütterung zu tragen. Und sie ersetzen das Einkommen, welches zuvor mit Mutterkuhhaltung und Rindviehaufzucht erwirtschaftet wurde.» Dank den jährlichen Patentreffen auf dem Bruffhof habe sich inzwischen eine gleichgesinnte Gemeinschaft entwickelt, freut sich Familie Schwarz. Grundsätzlich sind aber alle Interessierten auf Voranmeldung willkommen. Offenheit gegenüber allerlei Fragen der Besucher sei sehr wichtig. «Viele wissen nicht, dass eine Kuh nur Milch gibt, wenn sie vorher ein Kalb geboren hat, welches ihr zudem weggenommen wird.» Für alle in der Familie ist klar: «Erst wenn man weiss, wie ein Lebensmittel hergestellt wird, kann man für sich herausfinden ob man bereit ist, die entsprechende Verantwortung zu tragen.» Sogar innerhalb der Familie gibt es diesbezüglich verschiedene Meinungen. Mutter Rita ernährt sich inzwischen vegetarisch, die Töchter vegan und der Vater isst nach wie vor alles. Ein Lebenshof, folgert Franz Schwarz, sei grundsätzlich eine von vielen Möglichkeiten, Landwirtschaft zu betreiben. «Der Wert dieses Konzepts liegt unter anderem darin, Brücken zu bauen. Zwischen Menschen, die keinen Bezug zur Landwirtschaft haben, und jenen, die davon leben.»