Gelebter Jazz, auf der Bühne und im Workshop

Gelebter Jazz, auf der Bühne und im Workshop
Eine illustre Truppe: Sarah Elizabeth Charles, Caroline Davis, Rashaan Carter und Eliza Salem (v.l.n.r) / Bild: zvg
Langnau: Die Workshops an den Langnauer Jazz Nights bilden das Tagesprogramm, von dem das Publikum wenig mitbekommt. Für die Musizierenden sind sie zentral.

Es ist ein ungewöhnlicher Stuhlkreis in diesem Schulzimmer. Sechs Frauen und zwei Männer quer durch die Generationen setzen mit ein, als Sarah Elizabeth Charles eine Blues-Linie anstimmt. Sie treffen sich im Tempo und finden rasch zu einem gemeinsamen Groove – es braucht wohl diesen englischsprachigen Begriff, um die Melodie und den Rhythmus zu beschreiben, der alle miteinander in Schwingung versetzt. Stimmen sind die Basis für Stimmung. So einfach beginnt Musik. «Diese Grundmelodie ist unsere Heimat, unser Anker, unsere Wurzel in diesem Stück», sinniert die Workshop-Leiterin. Jede Melodie kehrt wieder hierhin zurück. Das ist keine kopfgeborene Komposition, sondern Klang aus Bauch und Herz, als Interaktion, spontan. Der eine schnippt mit, die andere swingt mit Kopf und Armen. «Unser Körper ist Teil der Stimme, verlängert die Instrumente», lächelt Sarah Elizabeth Charles. Der Unterricht der 36-jährigen US-amerikanischen Sängerin ist ein Gemeinschaftserlebnis. Im Kreis zu musizieren sei natürlicher als in einer Reihe aufgestellt auf der Bühne. Und die einfachen Klänge brauchen Pausen, «Stille ist auch ein Ton», weiss sie. So improvisieren sich unerhörte Melodien.


Musik als internationale Sprache

Neben der Vokalistin aus New York sitzt eine andere Sängerin: Marianne Keel, Musiklehrerin im oberen Emmental. Drei Fussminuten entfernt wohnt sie mit ihrer Familie und leitet selber Chöre und Workshops. Sie schwärmt: «Die unglaublich guten Lehrkräfte und die entspannte Atmosphäre der Jazz Nights inspirieren enorm und wirken kreativ.» Auch die Schweizer Bluessängerin Yvonne Moore swingt als Gast im Kreis mit: «Was früher zu Hause geschah und vergessen geriet, wird hier neu übermittelt.» Musik sei ein gemeinsames Erlebnis, eine internationale Sprache: «Was mit einfachen Tönen startet, vervielfältigt sich im Austausch, in der Gruppe. Niemand ist ausgeschlossen. Musik verbindet, befreit und schenkt Lebensfreude.» Die 62-jährige Moore sucht auch die historischen Wurzeln der im Kolonialismus geborenen Musik. Sie erlebe in Langnau die Urkraft des Jazz. Musizieren heisse «Hören und Erleben, Vorsingen und Vorspielen, Freude am Zusammenspiel und aktiv Kreieren».


Viele helfende Hände

Rund 100 Teilnehmende nutzten dieses Jahr die Gelegenheit, während der Woche mit 17 international tätigen Dozierenden zu arbeiten. Tägliche Proben, Einzelunterricht und spontane Begegnungen machen die Ate­liers zu einem Herzstück der Jazz Nights. Musik geschieht als Aktivität von Profis und Lernenden jeden Alters, die sich ohne destruktive Kritik treffen, diskutieren, spielen und vortragen. Ihre gesprochenen Sprachen sind unterschiedlich, die Kommunikation geschieht musikalisch. Die intensive Festivalwoche wurde durch das Engagement von rund 100 freiwilligen Helfenden überhaupt erst möglich gemacht.


Höhepunkt mit Septett der Dozenten

Ab dem späten Nachmittag wird auf dem Viehmarktplatz sichtbar, was in Proberäumen und Schulstuben entsteht. Es steigen Konzerte des Junior Jazz Workshops Orchestra und diverser Ensembles. Dann ziehts die Leute in die ausverkaufte Kupferschmiede zu den herausragenden Konzerten. Dabei entpuppte sich der Freitag als künstlerischer Höhepunkt zwischen euphorischem Sound und intimen Klängen. 

Dieses Jahr stellte Saxophonistin Caroline Davis das Team der Workshop-Leiter zusammen. Als «New Slang» fanden sich die vier Frauen und drei Männer für ein einmaliges Konzert zusammen. Die Intensität dieser Klänge und Rhythmen raubte dem Publikum den Atem. Die Band kreierte faszinierende Musik vom irrwitzigen Hochgeschwindigkeitsjazz bis zum meditativen Klangteppich. Blueserin Yvonne Moore brachte es als Zuhörerin auf den Punkt: «Freude, Können, Liebe, Passion, Freundschaft, Kreativität gelangten mit dem Publikum zusammen zu einem nur in diesem Moment kreierten Höhepunkt.» 


Bewegendes Zwiegespräch

Das war nicht alles. Das folgende Spätkonzert des brillanten E-Gitarristen Kurt Rosenwinkel und des subtilen Pianisten Gerald Clayton am Flügel führte das Publikum nochmals in besondere Sphären. Auch die beiden kehrten zurück zu Grundmelodien, die aus Stille, Atem und Herzschlag entstehen. Das bewegende Zwiegespräch der warmen Gitarrenklänge und perlenden Klaviertöne führte hinaus in die Langnauer Nacht.

31.07.2025 :: Karl Johannes Rechsteiner (kjr)