Wer ist beweglicher? Der 57-jährige Turner oder die Schülerin? Hier geht der Vergleich an den Routinier. / Bild: Remo Reist (rrz)
Marbach: Kunstturn-Olympiasieger Donghua Li besuchte die Abschlussklasse in Marbach und erzählte von seinem Leben – vom schweren Unfall bis zum sportlichen Triumph.
Ein besonderer Gast stand am Montag vor der Abschlussklasse der Schule Escholzmatt-Marbach: Donghua Li, Olympiasieger am Pauschenpferd von 1996. Der 57-Jährige bot den Jugendlichen Einblicke in sein bewegtes Leben und begeisterte sie später in der Turnhalle mit seinen Künsten.
Mit 16 Jahren vor dem Karriereende
«An unserer Schule ist es Tradition, dass die 3. Sekundarklasse einen besonderen Abschlusstag erleben darf», erklärt Lehrperson Anita Jenni. Die katholische Kirchgemeinde organisiert den Tag, an dem alle Jugendlichen teilnehmen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit. Man habe Li angefragt, da er durch seine erste Ehe das Bürgerrecht von Marbach besitze. «Zudem kann er einen Einblick in eine andere Kultur bieten.»
Donghua Li begann mit einem ausführlichen Einblick in sein Leben; vom Aufwachsen in einer 14-Millionen-Stadt in China – «dort kommen die Pandabären her» – über seine ersten Turnstunden bis hin zu einem schweren Unfall 1984. Beim Pferdsprung verlor er die Milz und die linke Niere. «Das hinderte mich nicht daran, Spitzenresultate zu erbringen, obwohl der Arzt sagte, meine Karriere sei beendet», erzählte er.
Das überragende Jahr 1996
1989 zog Li in die Schweiz, 1994 wurde er eingebürgert. Die Zugfahrt von Peking über Russland und Berlin dauerte über eine Woche. Weil er eine Schweizerin geheiratet hatte, verlangte der chinesische Verband die Trennung – ansonsten dürfe er nicht mehr für China antreten. Li entschied sich für die Ehe und durfte nach einer langen Frist für die Schweiz an internationalen Wettkämpfen starten.
Der Entscheid hat sich ausbezahlt: 1996 siegte Li am Eidgenössischen Turnfest, an der Europameisterschaft, wurde Vize-Weltmeister – und stand schliesslich an Olympia in Atlanta ganz oben auf dem Podest. Im gleichen Jahr gab er den Rücktritt vom Spitzensport und wurde zum zweiten Mal nach 1995 zum Schweizer Sportler des Jahres gewählt. «Ich habe verschiedene Persönlichkeiten getroffen und durfte durch die ganze Welt reisen. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn ich aufgegeben hätte.»
Schwerer Verlust prägt das Leben
Mit gefasster Stimme sprach Li auch über den schwersten Schicksalsschlag: 2019 starb sein siebenjähriger Sohn an Krebs. «Er war sehr aufgeweckt und neugierig. Wir haben zusammen geturnt», erinnert sich der Vater, der mit seiner ersten Frau eine 29-jährige Tochter hat. Heute versuche er, im Hier und Jetzt zu leben und sei dankbar für die gemeinsame Zeit, die er mit seinem Sohn erlebt habe.
Den Jugendlichen gab er mit auf den Weg: «Ich wünsche euch, dass ihr das Leben geniesst und immer vorwärts schaut. Entwickelt als Menschen eigene Werte!»
Begeisterung in der Turnhalle
Nach den Lebensgeschichten folgte der praktische Teil: In der Turnhalle zeigte Donghua Li seine Turnkünste und bezog die Jugendlichen mit ein. Trotz seiner 57 Jahre bewegte er sich noch immer elegant und kraftvoll. «Ich trainiere immer noch fast täglich», verriet er nach der Vorführung.
Die Jugendlichen waren begeistert – am Ende setzten sie sogar zu einer Welle an. «Die Schulabgänger stehen an einem Übergang in ihrem Leben», bilanziert Anita Jenni. «Sie werden lernen, mit Rückschlägen umzugehen und Verantwortung zu übernehmen.» Donghua Li habe verschiedene Kulturen kennengelernt und viele Hürden genommen. «Der Tag mit ihm ist bestimmt eine wertvolle Bereicherung.»