Die Klasse 8a wird am Schnuppernachmittag in einem der Impulsräume gefilmt. / Bild: Remo Reist (rrz)
Zollbrück: Das neue Oberstufenzentrum in Zollbrück wurde gezielt für selbstorganisiertes Lernen konzipiert. Am Schnuppernachmittag erfuhren die Jugendlichen, was das bedeutet.
«Als erstes Schulhaus im Kanton Bern wurde das Oberstufenzentrum Zollbrück nach dem Konzept des selbstorganisierten Lernens (SOL) geplant», erklärt Daniel Gebauer, Gesamtschulleiter des Gemeindeverbandes Schule Zollbrück. «Unsere Arbeitsgruppe hat sich in der Schweiz ab 2015 nach zeitgemässen und verbreiteten Lehr- und Lernformen umgeschaut. Die Erweiterung der Schulanlage mit dem zweigeschossigen Neubau wurde dann explizit auf das SOL-Modell ausgerichtet.» Aufs neue Schuljahr wird zugleich der Wechsel zum weit verbreiteten Stufenmodell 3b vollzogen. Realschüler und Sekundarschülerinnen werden in gemischten Klassen unterrichtet. Niveauunterricht gibts in Deutsch, Französisch und Mathematik. Zusammen mit den rund 150 Jugendlichen, die hier ab dem neuen Schuljahr ein und aus gehen werden, war am Schnuppernachmittag ein Filmteam vor Ort. Die kantonale Bildungs- und Kulturkommission lässt Filme produzieren, die Lehrpersonen und Schulleitenden Beispiele guter Schul- und Unterrichtspraxis zeigen sollen.
Lernlandschaften und Impulsräume
«Das architektonische Konzept überzeugt mit einer durchdachten Raumgestaltung und soll als Inspiration für andere Schulhausprojekte dienen», so Gebauer. Einzigartig sind die 300 Quadratmeter grossen Lernlandschaften. Hier erhalten alle Jugendlichen ihren persönlichen Arbeitsplatz, wo sie von äusseren Einflüssen und optischen Störungen abgeschottet sind. «Um die maximale Konzentration zu ermöglichen, herrscht hier eine Flüsterkultur», sagt der Gesamtschulleiter.
Direkt angrenzend verfügt das Schulhaus über sogenannte Impulsräume für die Stoffvermittlung. «Diese Räume stehen auch für Gruppenarbeiten zur Verfügung - ein wichtiges Element des selbstorganisierten Lernens», so Daniel Gebauer. In anderen Räumlichkeiten gibt es nebst Sofa- und Hocker-Elementen oder Stehtischen sogar eine Seilbahn-Kabine, in die man sich zurückziehen kann. «Es hat für jedes Bedürfnis einen Arbeitsplatz; und das vermeintlich offene Unterrichtsmodell bietet viel Struktur. Die Regeln, wie zusammengearbeitet wird, sind klar definiert und für die Jugendlichen nachvollziehbar.» Die hohen Decken und das angenehme Raumklima würden gemäss Gebauer auch auf Lehrpersonen anziehend wirken. «Die freien Stellen konnten problemlos besetzt werden, die Fachkräfte haben sich explizit bei uns beworben, weil wir dieses Modell anbieten. Nicht alle Lehrkräfte aus den alten Strukturen wollten jedoch den neuen Weg mitgehen.» Schulinspektor Christoph Schenk, der abends auch bei der Präsentation für die Erziehungsberechtigten vor Ort war, lobt: «Dieses Schulhauskonzept hat Vorzeige-Charakter. Die Gemeinden Lauperswil und Rüderswil und damit der Gemeindeverband Schule Zollbrück haben mutig eine zukunftsgerichtete Variante gewählt und mit der Investition bewiesen, dass ihnen Bildung wichtig ist.»
90-Minuten-Module
Die Lehrpersonen seien heute stärker Lern- und Entwicklungsbegleitende und nicht mehr die reinen Wissensvermittler, erläutert Schenk. «Die hier geschaffenen Rahmenbedingungen bilden dazu eine sehr gute Grundlage und begünstigen die Förderung der fachlichen und überfachlichen Kompetenzen, wie sie im Lehrplan 21 verankert sind.» Daniel Gebauer erläutert, dass der Unterricht neu in 90-Minuten-Modulen erfolge und es 30 Minuten Pause gebe. Nach einem Impuls von 30 bis 45 Minuten finde ein fliessender Übergang zum selbstorganisierten Lernen statt. «Die Jugendlichen können dabei inhaltliche Schwerpunkte setzen und die Reihenfolge ihrer Aufgaben frei wählen, Selbstständigkeit wird gefördert.» Dazu gehöre auch die erste Viertelstunde, die als Ankommenszeit gelte und zum offiziellen Unterricht zähle.
Auch für Integration und Inklusion
«Die Jugendlichen sollen sich organisieren und planen können - das ist in der Berufswelt gefragt», betont Gebauer. Sie würden eng begleitet und erhielten Unterstützung bei Lernstrategien und ihrer Reflexion. «Für Schülerinnen und Schüler mit besonderem Unterstützungsbedarf stehen zudem zwei Förderlehrpersonen zur Verfügung, welche sie im neuen Unterrichtsumfeld begleiten.» Christoph Schenk hebt hervor, dass durchlässige Modelle besonders gut für Integration und Inklusion geeignet seien: «In diesen Klassen ist die Akzeptanz, dass jedes Kind an einem individuellen Ort steht und sein eigenes Programm hat, durch das Modell gewissermassen schon gegeben. Dadurch kann auf Kinder mit besonderen Bedürfnissen einfacher eingegangen werden.» Der Schulinspektor unterstreicht, wie Forschungsergebnisse zeigten, dass die Starken nicht ausgebremst würden und die Schwächeren profitierten.
Realistisch bleiben
Die Lehrpersonen wurden auf das neue Konzept vorbereitet. Allein im letzten Schuljahr habe es zwölf halbtägige Veranstaltungen gegeben, berichtet Daniel Gebauer. Das Team wird von einem externen Berater und von der Pädagogischen Hochschule Bern unterstützt. Zum erwarteten Lernerfolg äussert sich der Schulleiter realistisch: «Es wäre überheblich zu sagen, dass dieser höher sein wird. Wir glauben aber, dass es eine zeitgemässe Art und Weise des Lernens ist und dass man optimal auf die Berufsbildung oder weiterführende Schulen vorbereitet wird.» Ein wichtiger Aspekt sei, dass sich die Jugendlichen in diesem Lernumfeld geborgen fühlten und einfach gerne zur Schule kommen würden.