«Die Kunst hat mein Leben bereichert und mir viel geschenkt»

«Die Kunst hat mein Leben  bereichert und mir viel geschenkt»
«Momentan male ich am liebsten», sagt Sam Thöni. In seinem Atelier arbeitet er an farbenfrohen Gemälden. / Bild: Pedro Neuenschwander (pnz)
Bowil: In seinem Haus hat sich Künstler Sam Thöni eine eigene Welt geschaffen. Hier arbeitet er an zahlreichen Projekten. Zurzeit stellt er in der Galerie Worb einige seiner Acryl-Bilder aus.

Er ist leicht aufzuspüren, auch ohne Navigationsgerät. «Vor den Fenstern hat es Geranien – im März! – und rund ums Haus einen Haufen Steine», sagte er. So ist es. Die Geranien sind gefriergetrocknet, und die Steine, teils bearbeitet, teils im Naturzustand, beeindruckend gross. Dem Haus sieht man sein Alter an, es hat gut und gern 200 Jahre auf dem Buckel. Hier in Bowil ist Sam Thönis Paradies. Geboren in Bönigen im Oberland, wuchs Sam Thöni als vierter Sohn eines Fabrikarbeiter-Ehepaars fernab von Kunst und Kultur auf. Es gab zwar unter den Verwandten Bauern, die den Winter über «schnetzten», aber es kamen eher «Chueli» als Kunstwerke dabei heraus. Er war ein Nachzügler, die Brüder waren längst aus dem Haus. In der Schule der Lehrerschreck, unterhielt er die Klasse mit Kapriolen und Scherzen. Sein Berufswunsch: Er wollte Clown werden. Und er lernte Trompete spielen. Bei einem Bäcker hatte er einen Wochenplatz und trug morgens vor der Schule mit Velo und Hutte Brötchen aus. Da hätte er, wäre es nach dem Meister gegangen, eine Lehre machen sollen. Doch Sam Thöni wurde weder das eine noch das andere. Stattdessen besuchte die Holzschnitzerschule in Brienz.


Weg vom Holz

Kaum hatte er die Ausbildung beendet, starb sein Vater, und Sam Thöni ging in die Welt hinaus, nach Basel. Dort fand er einen Mentor, der sein Talent erkannte und förderte. Er erlernte die Steinbildhauerei und gleichzeitig die Schmiedearbeit, um passendes Werkzeug herzustellen. Und nebenbei auch noch Zeichnen und Malen in verschiedenen Stilrichtungen. Er unternahm Reisen zu verschiedenen Kunsthäusern. «Das war der Scheidepunkt!», erinnert sich Thöni, fertig Schluss mit «Bäremani-Schnitzen», fortan wandte er sich der abstrakten Kunst zu, und hatte Erfolg. Das ermöglichte ihm den Schritt zum selbständigen Kunstwerker, wie er sich nennt.


Das Paradies liegt in Bowil

«Wie ein Sechser im Lotto» bezeichnet Thöni das Glück, im alten Häuschen in Bowil leben zu dürfen. Hier sei er vor bald 50 Jahren zwar noch schief angesehen worden, mit seinen langen Haaren und ungewöhnlichen Arbeitszeiten - er arbeitet gerne in der Nacht. Aber nachdem er einer Bäuerin gut und günstig den Trittofen geflickt hatte, fand er Anerkennung und Anschluss im Dorf. Seine Patchworkfamilie - er hat 5 Kinder - ernährte er vorwiegend mit der Herstellung von Grabsteinen. Damals seien es 60 bis 70 pro Jahr gewesen, heute sei es noch ein Zehntel davon. 

Langweilig wird ihm nicht, allein im Holzhaus, das einst eine Bäckerei, dann eine Kolonialwaren-Handlung oder eher ein Lädeli war, das die Dorflehrerin nebenbei betrieb. Es gibt viel zu reparieren. Die Besitzerin hielt im Testament fest, dass nur hier wohnen dürfe, wer im Winter die Vögel füttere. Das tut Sam Thöni gewissenhaft. Und einsam fühlt er sich nicht, denn da ist die Kunst! Zahlreiche Projekte warten darauf, fertiggestellt zu werden. «Seit ich im Voltaren-Klub bin», scherzt Thöni, und meint seine schmerzenden Gelenke, «male ich am liebsten». Zurzeit stellt er Acryl-Bilder in seinem Atelier in Worb aus, zusammen mit den Skulpturen des Freundes Roland Rufibach. Es sind farbenfrohe Gemälde, bestehend aus Hunderten Details, die liebevoll gemalt einen wahren Farbenrausch erzeugen.


Er sprudelt vor Ideen

Thöni ist ständig am Experimentieren. Da gibt es bemalte Spanplatten, Reliefs aus rostigem Blech, aus Schleifstein oder aus Abholzstücken. Auf einer Wasserfläche verteilte Far-be ergibt ein Aquarell. «Mir kommen immer neue Ideen, meine Hände kommen kaum nach. Manchmal träume ich etwas, das ich gleich auf einem Block neben dem Bett notie-ren muss», erzählt der Künstler. Er schreibt mit Füllhalter und Tinte in gestochen schönem Handlettering. Sam Thöni trägt als Markenzeichen schwarze T-Shirts, bedruckt mit eigenen oder ausgesuchten Sprüchen: «Wenn du jemanden ausruhen siehst, dann hilf ihm», steht da etwa, oder: «Nur der kleine Geist hält Ordnung, das Genie überblickt das Chaos.» Später am Stubentisch meint Sam Thöni auf sein Leben zurückblickend: «Das Schicksal hat es gut gemeint mit mir. Als Bäcker wäre ich sicher reicher geworden, aber die Kunst hat mein Leben bereichert, hat mir unendlich viel geschenkt. Besser hätte es nicht kommen können!

13.03.2025 :: Gertrud Lehmann (glh)