Einsamkeit von älteren Menschen mit Telefongesprächen mildern

Einsamkeit von älteren Menschen  mit Telefongesprächen mildern
Fast ein Drittel der Seniorinnen und Senioren fühlt sich manchmal bis häufig einsam. / Bild: Shutterstock
Emmental/Entlebuch: Gerade über die Festtage fühlen sich viele ältere Menschen einsam. Ein Gespräch kann helfen. Das Telefon «mal reden» bietet diese Möglichkeit – das ganze Jahr.

«Da isch ‹mal reden›, grüessech.»

So meldet sich Erika Gerber (Name geändert), wenn sie für das Alltags­telefon im Einsatz ist. Dann wartet sie ab, was ihr Gegenüber sagt. «Manchmal legen die Leute sofort los, erzählen zum Beispiel von ihrem Ärger mit dem Nachbarn oder dem Konflikt in der Familie.» Andere fragten, ob sie dieses und jenes auch schon einmal erlebt habe. Wieder andere seien eher zurückhaltend, warteten ab, bis sie die Initiative ergreife. «Kein Gespräch ist wie das andere», sagt die freiwillige Mitarbeiterin aus dem Emmental, «das macht es interessant.» Wer anruft, weiss sie nicht, das Angebot ist anonym. Einzig, dass es sich um eine ältere Person handelt, ist klar – das Zielpublikum von «mal reden» sind Menschen ab 60 Jahren.


Die Einsamkeitskette unterbrechen

«Fast ein Drittel der Seniorinnen und Senioren fühlt sich manchmal bis häufig einsam», weiss Eve Bino, Co-Ini­tiantin und Co-Geschäftsleiterin von «mal reden». Risikofaktoren seien etwa körperliche, psychische und finanzielle Einschränkungen. Diese würden es oft erschweren, in einem Verein mitzumachen oder beispielsweise einen Mittagstisch zu besuchen. Hinzu komme: Der Freundeskreis werde kleiner, weil Leute wegsterben. «Sich neue Kontaktmöglichkeiten zu erschliessen, braucht im Alter viel Energie, und die ist nicht immer vorhanden.» Der Zugang zu «mal reden» aber sei niederschwellig und einfach. Doch wie kann ein Telefonat von 20 Minuten – auf diese Zeit ist es limitiert – die Situation der anrufenden Person verbessern? Ein Gespräch könne die Einsamkeitskette unterbrechen und für ein gutes Gefühl sorgen, sagt Eve Bino. Die betroffene Person merke, dass sie fähig ist, in Kontakt zu treten. Sie werde gehört, verstanden und wertgeschätzt. «Das steigert das Selbstwertgefühl. Vielleicht wagt dann jemand auch den Schritt nach draussen.» Erika Gerber kann dies bestätigen. Am Ende eines Gesprächs höre sie oft, dass es gut getan habe, mit jemandem zu reden. «Die Situation hat sich zwar nicht geändert, aber ein Anliegen oder Problem konnte ausgesprochen und deponiert werden, und das entlastet.»


Schweres und Leichtes

Zuhören – das ist es, was Erika Gerber und die anderen rund 50 Freiwil­ligen von «mal reden» vor allem tun. Zuhören und Anteil nehmen, aber keine Ratschläge erteilen. Auch wenn manchmal danach gefragt wird. «Dann sage ich jeweils, dass wir keine Beratungsstelle sind und gebe, wenn erwünscht, die Telefonnummer einer Anlaufstelle weiter. Oder ich versuche, die Person über Fragen soweit zu bringen, dass sie selber auf eine Antwort kommt», erzählt Gerber. Auch bei Themen wie Gewalt oder Suizi­dalität würden sie an Fachstellen oder die Dargebotene Hand (Telefon 143) verweisen, ergänzt Bino. «Für solche Fälle sind wir nicht ausgebildet.»

Natürlich gebe es die schweren Gespräche, in denen es um Leid, Streit und Trauer gehe. Aber nicht nur. Bei «mal reden» müsse man nicht Probleme wälzen, sondern könne auch über Alltägliches reden, das ist beiden Frauen wichtig zu betonen. «Manche Leute erzählen, was sie in der letzten Stunde gemacht haben oder was für ein Missgeschick ihnen heute passiert ist», sagt Erika Gerber. Als es kürzlich so viel geschneit hat, sei das ein grosses Thema gewesen.


Beeindruckende Gespräche

Gerade die Vielfalt an Gesprächsinhalten und Menschen ist es, die Erika Gerber an ihrer Tätigkeit gefällt. Besonders schön sei es, wenn jemand trotz allem Schweren den Humor nicht verliere und auch das Gute sehen könne. «Das beeindruckt mich jedes Mal.» Meist seien die 20 Minuten schnell vorbei. Und dann heisst es «uf Wiederlose» – obwohl sich die beiden vielleicht nie mehr hören. Wer will, darf die Nummer 0800 890 890 einmal pro Tag anrufen, doch es ist nicht immer dieselbe Person, die zuhört. Wer sich mehr Kontinuität wünscht, für den gibt es das Gesprächs-Tandem (siehe Kasten). Egal ob Alltagstelefon oder Tandem, «unser Ziel ist es, den von Einsamkeit betroffenen älteren Menschen eine Gesprächsmöglichkeit zu bieten und sie zu ermutigen, weitere Schritte aus der Isolation zu gehen», betont Eve Bino.

Als Tandem unterwegs

Wer mehr Regelmässigkeit und Vertrautheit wünscht als beim Alltagstelefon, kann sich für ein Gesprächs-Tandem anmelden. Einmal pro Woche ruft eine fest zugeteilte Telefonfreundin oder ein Telefonfreund von «mal reden» während maximal 60 Minuten an. «So entsteht eine langfristige telefonische Beziehung, die Halt, Struktur und Freude schenkt», steht auf der Webseite malreden.ch.

Hinter beiden Angeboten steht der Verein Silbernetz Schweiz mit Sitz in Bern. Er hat Leistungsverträge mit mehreren Kantonen – so auch mit Bern – und finanziert sich durch Spenden sowie Beiträgen von Stiftungen, der öffentlichen Hand und weiteren Institutionen.

27.12.2024 :: Silvia Wullschläger (sws)