Eine meiner liebsten Erinnerungen an die Studienzeit sind spontane Nachtgespräche mit Kollegen: eine Flasche Rotwein und Gespräche über Gott und die Welt. Das war gelebte Freundschaft, kollegiales Coaching und Seelsorge in einem.
Manchmal geschieht in so Nachtgesprächen Wesentliches. So erlebte es wohl Nikodemus. Er war ein gelehrter Mann und gehörte wohl dem Hohen Rat an, der damaligen obersten religiösen Behörde des Landes. Dieser Mann will mehr wissen über den Rabbi Jesus: darüber, was der denkt und will. Am hellen Tag will er aber nicht zu Jesus zu gehen. Das könnte
heikel sein für ihn. Und manchmal ist die beste Strategie ja wirklich ein diskretes Gespräch unter vier Augen, wo man offen fragen, zuhören, lehren, lernen, streiten kann. Ich mag die Texte in den Evangelien, in denen Begegnungen von Jesus mit Menschen erzählt werden. Keiner wird gleichbehandelt wie die andere. Jesus geht auf die einzelne Person ein. Was er Nikodemus, dem Bibelgelehrten, sagt, ist schwierige Kost. So in etwa: Gottes Geist ist wie der Wind. Du siehst seine Wirkung, aber kannst ihn nicht steuern. Du musst dich auf ihn einlassen, ohne dass du die Sache im Griff hast. Du als ganzer Mensch bist gefragt, wenn es darum geht, die Beziehung zu Gott zu leben. So hat Jesus selbst gelebt: Ihm war nicht wichtig, was andere denken, ob er Macht, Status, Geld oder Ansehen verlieren könnte. Er lebte aus der tiefen Verbindung zum Ursprung des Lebens, schöpfte daraus Kraft und handelte danach. Diese Kraft Gottes dient dem Leben.
Diese Haltung, und dass er danach lebte, machte Jesus damals und noch heute für manche Menschen unverständlich oder gefährlich. Er tut oft das Gegenteil von dem, was ich erwarte. Er dient dem Leben und fordert mich auf, es ihm gleich zu tun. Vertrau dich dem Wind an. Vielleicht brauchen wir heute wieder mehr solche intimen Nachtgespräche?