Es ist zwei Wochen her, da haben wir «Trittst im Morgenrot daher» gesungen, den Schweizerpsalm, der nicht die grossen Taten unserer Vorfahren preist wie andere Nationalhymnen, sondern Gott, den Allmächtigen, in dessen Name auch die Bundesverfassung steht. Aber spannend ist: Sonst kommt Gott bei uns relativ selten vor in der Tagespolitik. Anders in den USA. Dort steht in der Verfassung nichts von Gott. Kirche und Staat sind strikt getrennt. Trotzdem ist Religion andauernd ein Thema, insbesondere im Wahlkampf. Ich weiss, dass der amtierende Präsident ein überzeugter Katholik ist – von unseren Bundesräten weiss ich diesbezüglich gar nichts. Wer für ein Amt kandidiert, brüstet sich mit seiner Frömmigkeit – auch wenn bei gewissen Leuten ihr Lebensstil eher dagegen spricht.
Das wirkt auf mich zumindest anbiedernd, wenn nicht scheinheilig. Und es irritiert mich sehr, wenn ich auch in der Schweiz
in einschlägigen Publikationen lese, man solle dafür beten, dass Trump als Präsident gewählt werde. Ich vermute, in diesem Wahlkampf sind fromme Worte reines Kalkül. Es geht nur um Stimmen. Und viele evangelikale Christen lassen sich an der Nase herumführen.
Mir kommt Jesus in den Sinn, wie er sagte: «Betet nicht vor den Leuten, damit sie euch sehen und bewundern, sondern geht dafür in eure Kammer.» Und wie er vor falschen Propheten warnte und uns ans Herz legte: «An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.» Wenn ich ehrlich bin, ist mir lieber, wenn jemand unsere Nationalhymne nicht ganz so inbrünstig über die Lippen bringt, dafür aber tut, was geboten ist. Was wir glauben, sollte sich nicht in frommen Worten, sondern in Taten zeigen. Und Leute, die so genau wissen, was gut und was böse ist, sind mir verdächtig. Denn wer die Wahrheit wirklich erfahren hat, findet selten Worte dafür.