Wissen alleine ist noch keine Tugend. Und Intelligenz schützt nicht automatisch vor Torheit. Das hat nicht zuletzt der gefeierte Physiker Robert Oppenheimer mit der Erfindung der Atombombe eindrücklich bewiesen. Schon in der Antike war man sich bewusst, dass die Klugheit sowohl in Richtung Weisheit als auch in Richtung Gerissenheit kippen kann. Der grosse Aristoteles erhob dabei den Verstand zur entscheidenden Richtschnur. Die christliche Lesart fügte mit dem Glauben an Jesus Christus ein weiteres kraftvolles Element ein, das jedoch bei der konkreten Beurteilung von klugem oder unklugem alltäglichen Tun zuweilen viel zu diskutieren gibt. Für die bekannten christlichen Denker blieb aber unbestritten, dass es die Weisheit ohne Glauben alleine nicht richten kann, was Kohelet respektive der Prediger im Ersten Testament ja auch schon herausgefunden hat. Wie genau aber das Tugendhafte verbindlich in die angewandte Klugheit einfliesst, dafür gibt es weder in der Philosophie noch in der Theologie eine Instant-Rezeptur. Selber denken bleibt angesagt. Im Protestantismus haben die 7 christlichen Tugenden insgesamt an Wichtigkeit verloren. Sie wurden zunehmend durch das Konzept der Nächstenliebe übersteuert. Diese steht bekanntlich in Relation zur Liebe zu Gott und zur Liebe
zu sich selber. Man könnte nun freilich daraus folgern, dass der Schlüssel zur christlichen Klugheit in der Beziehung liegt. Wie ja die gesellige Gottheit selber schon in sich in Beziehung ist. Weiter: Gemäss Aristoteles ist jemand klug, der im allgemeinen richtig zu überlegen weiss. Wenn diese tauglichen Überlegungen dann vom Kopf über das Herz in die Hände fliessen und sich dabei stets der Beziehungen bewusst bleiben, die zu fördern, zu bewahren und zu leben wir alle aufgerufen sind, dann erwächst daraus in der Tat eine Tugend.