Fred Baumann hat die Alpauffahrt nach Rämisgummen in seinem Werk von 1981 festgehalten. / Bild: zvg
Emmental: Nun haben sich wieder viele Familien aufgemacht, um auf ihre Alp zu gehen.
Sie folgen damit einer jahrhundertalten Tradition.
Es ist kei sölige Stamme, o weder der Chüejerstand, we de der Meien isch vorhange, so fahre die Chüejer z´Alp.
So lautet die erste Strophe des Volkslieds «Es isch kei sölige Stamme».
Das bekannte Küherlied aus dem 18. Jahrhundert besitzt nicht weniger als 30 Strophen. Der Volkskundler und Sprachforscher Rudolf J. Ramseyer (1923–2007) hat das Lied in voller Länge in seinem Buch abgedruckt. Im Liedtext sind dabei viele Emmentaler Alpen erwähnt. So etwa in der Strophe 3 die Alpen von Eggiwil.
Deren Bärner Herren Bergen, ligen drinnen im Ämmenthal, Steinmösser und Breitmösser, Rämmis, Gummen, sind die Besten fast überall.
Dann gehts in dem Lied weiter nach Schangnau (Strophe 8):
Der Bülmenschwang und Rittschwangen, Lochsitten gehören auch darzu, das sind der höchsten Bergen, die stossen ans Äntlibuch.
Als nächstes werden die Alpen der Gemeinde Trub beschrieben, so etwa in der Strophe 18:
Am Trubenthal sind die höchsten Berge, der höchst in der Napf genandt, der ander ist das höch Aentzy, der dritt ist Schinen genandt.
Bevor es in den Strophen 22 bis 24 wieder nach Eggiwil und Röthenbach geht; hier die Nummer 23:
Ich kan sie nicht all nambsen, ich bin vast erst im mitts, der Sattel und die Schineg, darzu der Gabelspitz.
Um gegen Ende des Lieder bei den Sumiswalder Alpen zu landen. So heisst es in der Strophe 25:
Jetzt will ich weiters schreiten, will schreiten auf die Arny zu, da sind zween lustig Berge, die gehören denen Herren zu. Als die Bodenpreise stiegen
Rudolf J. Ramseyer erklärt in seinem Buch, dass die Alpsömmerung im Hügelland weit verbreitet war und dass zu vielen Talbetrieben eine Alp gehörte. Die Reformation brachte dann alles ins Wanken. Der Bodenpreis stieg, so dass die Bauern, welche den Hof alleine erbten, Mühe hatten, ihre Geschwister auszuzahlen. In ihrer Not verkauften viele ihre Alpen kaufkräftigen Stadtburgern. Die «Herren», welche das Kühlerlied gleich mehrere Male erwähnt, stellten welsche Sennen an, die mehr bezahlen konnten, weil sie Hartkäse produzierten. Käse, der haltbar und transportfähig war, und der viel mehr einbrachte als der (weiche) Käse der Einheimischen. Mit dem Aufkommen der neuen Herstellungsweise vergrösserten sich die Sömmerungen. Ramseyer nennt als Beispiel die Sumiswalder Alpen. 1572 sei von einer «nüwen Alp am Hindern Arni» die Rede und von einem neuen Käsegaden. Er nennt die Lüderenalp, wo sich die Zahl der gesömmerten Kühe von 34 auf 80 innerhalb von fünfzig Jahren mehr als verdoppelte. Die Alpen im Trub, Schangnau und Eggiwil dagegen seien kleiner gewesen, so der Forscher. Die berühmte Langnauer Alp Schynen (heute auf Boden der Gemeinde Trub) sei um das Jahr 1700 «nur» 51 Kühe bestossen worden.
Das Leben der Küher
Die Emmentaler Bauern liessen sich von den welschen Sennen beim Käsen anleiten. Daraus entwickelte sich ein selbstständiger Beruf, der des Emmentaler Kühers, den Rudolf J. Ramseyer in seinem Buch historisch wie volkskundlich beleuchtet. Der Küher besass im 18. Jahrhundert eine eigene Herde von 20 bis 40 Kühen, hatte aber weder eine Alp noch einen Talbetrieb. Er war ständig auf Wanderschaft. Im Sommer war er auf der Alp und stellte Käse her, im Winter suchte er gleich mehrere Talbauern auf, die seine Herde mit dem nötigen Futter versorgten. Ramseyer führt in seinem Buch die Routen auf, welche die Küher im Winter zurücklegten: Familie Fankhauser von der Alp Rämisgummen winterte in Thierachern, Gerzensee, Trimstein, Grosshöchstetten, Hindelbank und Emmen. Oder die Familie Schürch von der Mettlen in Trub hatte sein Vieh gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den Orten Belp, Kehrsatz, Stettlen, Habstetten, Münchenbuchsee, Willadingen an der Fütterung.
200 kleinere und grössere Alpen
Anders als der Sänger im Lied, der die Emmentaler Alpen willkürlich aufzählt, hat Ramseyer jede Alp registriert. Ende des 18. Jahrhunderts besass das obere Emmental mehr als 200 kleinere und grössere Alpen. Die bedeutendsten nennt der Autor mit Namen (siehe Kasten). Die grösste Alp mit 136 Kuhrechten war die Alp Hinterarni, Gemeinde Sumiswald, gefolgt von der Alp Lüderen Sumiswald mit 100 Kuhrechten. An dritter Stelle standen die «Risiseckalpen» in Trub mit 72 Kuhrechten. Beide, das Buch wie das Lied, zeigen eindrücklich, wie der weltberühmte Emmentaler nicht einfach aus dem Nichts entstand, sondern eine lange Vorgeschichte hatte.