Klein aber oho

Klein aber oho
Res Schindler (links) mit der 18-jährigen Hinterwälder-Kuh Bea. Simon Schindler will die Zucht der speziellen Rasse weiterführen. / Bild: Bruno Zürcher (zue)
Emmental: Die kleinen, leichten Hinterwälder-Kühe passen gut auf das stotzige Heimet der Familie Schindler. Kleinere Kuhrassen waren einst im ganzen Alpenraum verbreitet – und finden heute wieder mehr Anhänger.

Wenn man das Heimet sieht, erübrigt sich die Frage, warum die Familie Schindler auf die kleineren, leichteren Hinterwälder-Kühe gewechselt hat. Der Betrieb liegt an einem steilen Bord, hoch über Oberdiessbach. Als er sich vor mehr als 30 Jahren Gedanken gemacht habe, wie er den Betrieb weiterführen will, habe er sich nach kleineren Kuhrassen umgesehen. «Früher hatten wir auch Fleckvieh», sagt der heute 52-jährige Bauer Res Schindler. «Aber damals hat man die Kühe weniger geweidet, sondern häufig im Stall gefüttert.» Vor 25 Jahren wurde die erste Hinterwälder-Kuh angeschafft. Bald darauf folgten zwei Gusti und die Herde wurde sukzessive umgestellt.


Die Geschichte der Kuh Bea

Angesprochen auf die Vorzüge der Hinterwälder kommt Res Schindler ins Schwärmen: «Sie haben nicht nur den Vorteil, dass sie aufgrund des geringeren Gewichts we­niger Trittschäden in den Weiden verursachen. Die Kühe sind auch sehr langlebig, gesund und gute Futterverwerter.» Und er liefert auch gleich einen lebendigen Beweis: die Kuh Bea. Mit ihren 18 Jahren hat sie für eine Kuh ein biblisches Alter erreicht. 16 Kälber hat sie geboren und hat in all den Jahren nur zweimal mit dem Tierarzt Bekanntschaft gemacht. Bea heisst nicht per Zufall so. Deren Mutter durften die Schindlers seinerzeit an der BEA präsentieren. «Und Bea wurde an der Ausstellung gezeugt», berichtet Res Schindler und lacht. Selbstredend, dass Bea später auch von den Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung bewundert werden konnte. Dass das Hinterwälder-Vieh langlebig ist, lässt sich auch statistisch belegen. Eine Auswertung der Tierverkehrsdatenbank zeigt, dass die Nutzungsdauer beim Hinterwälder-Vieh zu den längsten der rund 50 untersuchten Rassen gehört.


Wirtschaftlich trotz weniger Milch

Trotz all der Vorzüge wurden – und werden – Hinterwälder-Kühe häufig belächelt. Mit einem Durchschnitt von 3800 Kilogramm geben die Kühe der Schindlers für ihre Rasse zwar viel Milch – aber «nur» rund halb so viel wie etwa Red-Holstein- oder Fleckvieh-Kühe. Res Schindler kramt in seinen Unterlagen und zückt die Resultate eines Versuchs, bei dem Studenten die Wirtschaftlichkeit verschiedener Milchviehrassen miteinander verglichen haben. Schindlers Kuh konnte mit den anderen mithalten und landete im Mittelfeld. Er höre immer noch Sprüche wie «Hinterwälder – das ist doch nur ein Hobby», aber die Kommentare seien weniger geworden. «Das ist sicher auch so, weil die Tiere durch gezielte Zucht immer besser wurden», meint der Landwirt. Wie soll sich die Rasse weiterentwickeln? «Sicher nicht nur auf Leistung», nennt Res Schindler als erstes. «Die Kühe sollen auch nicht grösser werden.» Vielmehr sollen Eigenschaften, wie etwa die gute Milchqualität oder dass es kaum Probleme beim Abkalben gebe, gefördert werden. 

Weil sich die Tiere der Schindlers für die Nachzucht eignen, werden fast alle Kuhkälber – und auch immer wieder Stiere – aufgezogen. «Wir tauschen unter den Züchtern auch immer wieder Munis aus oder vermitteln Gusti», sagt er. Mit der Milch ihrer 14 Hinterwälder-Kühe tränken sie Mastkälber, die sie zum Teil zukaufen.


Den Hof so weiterführen

Dass ihr Vieh für die Familie eine grosse Rolle spielt, zeigt sich auch in der Wohnstube. Auf mehreren Bildern sind Kühe und Munis zu sehen. Die Bäuerin Sandra Schindler war für einige Zeit auch im Vorstand des Hinterwälder Zuchtvereins tätig und auch Sohn Simon (27) teilt die Faszination für die kleinen Kühe. «Ich möchte den Betrieb im selben Stil weiterführen», sagt er. Weil das Heimet für heutige Verhältnisse eher klein ist, gehen Vater wie Sohn noch auswärtigen Arbeiten nach. Hinterwälder-Kühe werden oft auf Nebenerwerbsbetrieben gehalten. Warum eigentlich? «Vielleicht, weil sie weniger anspruchsvoll sind», mutmasst Simon Schindler. In den letzten Jahren haben nicht wenige Halter von Milchvieh- auf Mutterkuhhaltung umgestellt, die Hinterwälder eignen sich als sogenannte Zweinutzungsrasse für beides. «Ich möchte aber weiterhin melken», hält der Junior fest. Aktuell be­treiben die Schindlers den Hof als Generationengemeinschaft. «Irgendwie können wir uns immer organisieren», meint Simon Schindler. Die Freude an den Tieren ist dabei sicher hilfreich. Das spüren auch die Kühe. Sobald Res und Simon Schindler den Laufhof betreten, kommen sie zu ihnen und lassen sich am Hals kraulen.

Hinterwälder-Vieh: Vom Rettungsprogramm zur anerkannten Rasse

Klein, aber fein. Diese Redewendung trifft bei den Hinterwäldern gleich doppelt zu.

Zum einen sind die Kühe mit einer durchschnittlichen Widerristhöhe von 1,18 Meter deutlich kleiner als beispielsweise ihre Artgenossinnen der Rassen Swiss-Fleckvieh (1,45 Meter) oder Red-Holstein (1,50).

Zum andern ist auch die Population der Hinterwälder klein. Bei der Schweizer Tierverkehrsdatenbank sind heute rund 3200 Tiere registriert. Zum Vergleich: Beim Fleckvieh sind es 140´000 und bei Red-Holstein gar rund 170´000 Tiere.


Vor 40 Jahren wieder angesiedelt

In der Schweiz grasen Hinterwälder-Kühe wieder seit 40 Jahren. Damals hat die Organisation Pro-Specie-rara 18 Tiere importiert aus der Region Schwarzwald, welcher die Rasse auch ihren Namen zu verdanken hat. «Man vermutete, dass das Hinterwälder-Vieh vom Frutiger- oder Adelbodner-Rind abstammt. Diese sahen sehr ähnlich aus, waren aber bereits ausgestorben», erklärt Kathrin Berger, Präsidentin des Schweizerischen Hinterwälder Zuchtvereins. Laut Pro-Specie-rara ist dieses Vieh einst im gesamten Alpenraum verbreitet gewesen. «Während viele andere Kleinrassen endgültig ausstarben, überlebten Hinterwälder als kleine Restbestände im südlichen Teil des Schwarzwaldes.» Die Rettungsaktion hatte Erfolg: «Die Rasse hat sich erholt. Man kann heute mit einiger Zuversicht auf ihren langfristigen Fortbestand hoffen», bilanziert Pro-Specie-rara.

Das kann Kathrin Berger bestätigen: «Derzeit erleben wir einen Boom. Unser Tiervermittler hat viele Anfragen.» Bei der jüngeren Generation von Landwirten sei Nachhaltigkeit wichtig. «Sie sehen beispielsweise einen Vorteil darin, dass die leichteren Kühe die Weiden weniger beschädigen.» Während in den ersten Jahren fast alle weiblichen Tiere in der Zucht eingesetzt worden seien, werde heute strenger selektioniert. «Dadurch konnte die Qualität der Tiere und auch deren Wirtschaftlichkeit deutlich erhöht werden.»


Im Berggebiet – auch in Deutschland

Im Herdebuch des Verbands eingetragen sind heute 1200 Kühe und Rinder sowie 40 Stiere. «Unserem Verein gehören gut 150 Aktivmitglieder an. Viele davon betreiben die Landwirtschaft im Nebenerwerb», berichtet Kathrin Berger, die in Gohl wohnhaft ist und sich seit 2008 im Vorstand des Schweizerischen Hinterwälder Zuchtvereins engagiert. Weil sich die Hinterwälder besonders gut für steiles Gelände eignen, trifft man sie in allen bergigen Gegenden der Schweiz an. Die Hauptversammlung des Vereins wird abwechslungsweise in einer anderen Region durchgeführt – diese Woche ist Escholzmatt an der Reihe.

Der Hinterwälder Zuchtverein steht in engem Kontakt mit jenem in Deutschland, der rund tausend Herdebuchtiere mehr aufweist. «Die Zusammenarbeit ist nach wie vor wegen der Gefahr von Inzucht sinnvoll», erklärt die Präsidentin. Aber auch das Gesellige sei wichtig. «Das Züchtertreffen findet abwechslungsweise in Deutschland und der Schweiz statt.»
Auch Ausstellungen wie an der BEA bilden Höhepunkte im Vereinsleben. Dort zeige sich, dass die Hinterwälder mittlerweile anerkannt seien. «Bei der ersten BEA-Teilnahme vor 30 Jahren wurden die Hinterwälder nicht einmal mit den anderen Kühen vorgeführt», berichtet Kathrin Berger. «Heute sind sie ein fester Bestandteil der Viehschau – und beliebt bei den Besuchern.»

14.03.2024 :: Bruno Zürcher (zue)