Der diesjährige Weltgebetstag: eine Gratwanderung

Der diesjährige Weltgebetstag: eine Gratwanderung
Das Bild «Olive Tree» (Olivenbaum) von Anoush Vosguerichian haben die Palästinenserinnen für das Kinderprogramm geschickt. / Bild: zvg
Langnau: Morgen ist Weltgebetstag, so auch in Langnau. Weil die Liturgie von Palästinenserinnen stammt, musste sich das Vorbereitungsteam plötzlich auch mit Weltpolitik befassen.

«... durch das Band des Friedens» – so ist der Gottesdienst zum Weltgebetstag vom 1. März 2024 überschrieben. Verfasst haben die Liturgie palästinensische Christinnen. Dieser Umstand hat aber nichts mit der aktuellen politischen Lage im Nahen Osten zu tun. Die Wahl trafen die Delegierten der internationalen Weltgebetstags-Konferenz bereits 2017. Die Liturgie wird jedes Jahr von Christinnen aus einem anderen Land zusammengestellt.

Vorbereitet werden die Gottesdienste, die vielerorts in der Schweiz stattfinden, von lokalen Teams. Diese bestehen vorwiegend aus Frauen aus verschiedenen Kirchen. Viele haben sich auf die diesjährige Feier intensiver als sonst vorbereitet, denn das Massaker der Hamas in Israel und der darauf folgende Krieg in Gaza lassen die Emotionen hochgehen. Zwei Frauen aus dem Vorbereitungsteam in Langnau erzählen von ihrer «Gratwanderung».


Eine Stimme geben

«An unserer ersten Sitzung im November war rasch klar, dass wir uns der Herausforderung stellen und die Feier organisieren wollen», sagt Claudia Herren, welche das Team leitet. Es handle sich ja nicht um eine politische Veranstaltung. Elisabeth Wüthrich ergänzt, dass es das Ziel eines jeden Weltgebetstags sei, den Christinnen, welche die Liturgie geschrieben haben, eine Stimme zu geben. Und dieses Jahr seien das Palästinenserinnen. «Wir wollen ihre Anliegen ernst nehmen und würdigen, gleichzeitig aber damit nicht den Antisemitismus durch Unachtsamkeit fördern», betonen die beiden Frauen.


Der Frieden als Schwerpunkt

Darüber, wie sie die Feier gestalten wollen, diskutierten die neun Teammitglieder aus den Landeskirchen
und aus Freikirchen dann länger. «Zu gewissen Fragen im Nahost-Konflikt haben wir unterschiedliche Standpunkte», sagt Claudia Herren. Doch sie hätten das Thema der Liturgie – das Band des Friedens – als gemeinsames Herzensanliegen aufgenommen. «Wir beschlossen, eine Friedensfeier zu organisieren.» Anschliessend folgte die Detailarbeit. Es begann bereits beim Namen. Soll man einladen zum «Weltgebetstag aus Palästina»? Das Land, aus dem die Liturgie stammt, wird jeweils auf den Einladungen erwähnt. Das Problem: Zwar anerkennen die meisten Mitglieder der UNO Palästina als Staat, viele westliche Länder, darunter die Schweiz, aber nicht. Sie sprechen vom «palästinensischen Autonomiegebiet». Gemeint ist damit das Westjordanland, Gaza und Ostjerusalem. Historisch gesehen wiederum umfasst die Region Palästina das Gebiet zwischen dem Libanon und Ägypten am östlichen Mittelmeer, also auch das Staatsgebiet von Israel. Das Vorbereitungsteam in Langnau beschloss, auf dem eigenen Werbeflyer das Wort «Palästina» durch «Friedensfeier mit Texten von palästinensischen Christinnen» zu ersetzen.


Auf heikle Begriffe verzichtet

Dann gingen die Frauen die Liturgie Schritt für Schritt durch. Dabei orientierten sie sich auch an den Empfehlungen der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz. Auf einzelne Texte und Erzählungen mit heiklen Begriffen wie Nakba oder in denen es um das Symbol des Schlüssels geht, verzichteten sie (siehe Kasten). Mehr Raum erhielt dagegen der Schwerpunkt der Feier, das Band des Friedens. «Es ist das, was wir ausdrücken wollen: dass der Frieden verbindet, weltweit, auch in Zeiten des Krieges», betont Claudia Herren. Um dazu beizutragen, gehöre eben auch, die andere Seite, die es in jedem Konflikt gebe, nicht vor den Kopf zu stossen. Und ausserdem, ergänzt Elisabeth Wüthrich, hätten sie nicht die Opfer-Täter-Rollen zementieren wollen. «Es ist nicht unsere Aufgabe, eine politische Meinung zu vertreten und wir wollen uns nicht instrumentalisieren lassen – von keiner Seite», betonen die beiden Frauen.


Innere Kämpfe

Einfach sei die Auseinandersetzung mit dem Thema nicht gewesen, sagen Claudia Herren und Elisabeth Wüthrich. Es sei ein schmaler Grat, auf dem sie sich bewegten. Aber auch innere Kämpfe hätten sie ausgefochten. «Dürfen wir die Liturgie abändern? Zeigen wir noch authentisch, wie die palästinensischen Frauen leben und fühlen?», waren Fragen, die sie umgetrieben haben. Oder auch: «Machen wir der öffentlichen Meinung wegen zu viele Konzessionen?» Sie seien dann aber zum Schluss gekommen, dass sie gemeinsam einen guten Weg gefunden hätten, mit der Situation umzugehen. «Andere Teams machen es vielleicht anders, aber für uns fühlt es sich so richtig an.» Und so blicken die beiden Frauen der Feier von morgen Freitag (19.30 Uhr Kirche Langnau, weitere Feiern in vielen anderen Kirchen) zuversichtlich entgegen. Das Band des Friedens soll an diesem Abend gestärkt werden.

Begriffe, Symbole – heikel oder Teil der Geschichte?

In ihrer Empfehlung zum Weltgebetstag geht die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS) vor allem auf den Begriff Nakba und das Schlüsselsymbol ein. Sie empfiehlt, darauf zu verzichten:


  • Nakba sei ein politisch aufgeladener, mehrdeutiger Begriff. Er bedeute die Katastrophe, das Unglück und beziehe sich auf den Unabhängigkeitstag Israels. «In der aktuellen Situation in Gaza ist dieses Wort eng verknüpft mit der generellen Infragestellung der Existenz des Staates Israel», schreibt die EKS. Zudem richte es sich teilweise explizit gegen die jüdische Bevölkerung und das Judentum insgesamt. Gleichzeitig werde der Begriff aber auch von der israelischen Rechten als Drohung einer ethnischen Säuberung gegen Palästinenser und palästinensisch stämmige Israelis genutzt. 
  • Das Symbol des Schlüssels erinnere Palästinenserinnen und Palästinenser an die verlorene Heimat, die Flucht und Vertreibung im Zuge der Staatsgründung Israels 1948, steht im Schreiben der EKS. «Viele Familien besitzen noch die Schlüssel ihrer alten Häuser, auch wenn diese zum grossen Teil nicht mehr vorhanden sind.» Mit dem Schlüssel werde auch das Recht auf Land eingefordert. Mit diesem Symbol gehe ausserdem teilweise die Idee einher, die israelische Bevölkerung zu eliminieren, hält die EKS fest. «Aus israelischer Perspektive hat diese Verehrung des Schlüsselsals Anspruch auf Land und Häuser der 1948 geflohenen und teils vertriebenen palästinensischen Bevölkerung etwas Bedrohliches.» Sie werde so gedeutet, dass man einen demokratischen Staat grundsätzlich nicht akzeptiere. 


Geprägt vom kulturellen Kontext

Das Schweizer Weltgebetstag-Komitee vertritt eine etwas andere Haltung. Die Liturgien des Weltgebetstags seien immer geprägt vom kulturellen Kontext, in dem die Frauen lebten, wird Präsidentin Vroni Peterhans in der Zeitung «Reformiert» zitiert. Die Nakba und der Schlüssel seien Teil ihrer Geschichte. «Wir dürfen ihnen nicht ihre Erfahrung absprechen. Unsere Grundsätze sind: hinhören, nicht urteilen, nicht Partei ergreifen.» Friedensgebete würden immer alle einschliessen, auch die jüdischen Schwestern. Sie hätten die Basisgruppen aber darauf hingewiesen, «der Wortwahl grösste Sorgfalt beizumessen», so Peterhans.

29.02.2024 :: Silvia Wullschläger (sws)