Bereits vor dem Infoabend hat sich die Tempo-30-Gegnerschaft formiert

Bereits vor dem Infoabend hat sich die Tempo-30-Gegnerschaft formiert
Der Kanton will die Ortsdurchfahrt sanieren. Das beinhaltet nebst baulichen Massnahmen auch Tempo 30. / Bild: Silvia Wullschläger (sws)
Oberdiessbach: Künftig soll im Ortskern und auf der Hauptstrasse Tempo 30 gelten. Das Ziel: mehr Sicherheit, weniger Lärm. Die Gegner sprechen von Zwängerei und wollen abstimmen.

Sie habe viele Stühle bestellt für die Infoveranstaltung vom 1. November, sagt Bettina Gerber, Gemeindepräsidentin von Oberdiessbach. Sie rechne mit einem Grossaufmarsch und regen Diskussionen. Die Sanierung der Ortsdurchfahrt (Kantonsstrasse) und die Verkehrsberuhigung im Ortskern (Gemeindestrassen) geben zu reden. Dies vor allem, weil sowohl Gemeinde als auch Kanton bei ihren Projekten Tempo 30 einführen wollen. Tatsächlich hat sich lange vor dem Start des Mitwirkungsverfahrens ein Gegenkomitee formiert und ist mit einem Flugblatt an die Einwohnerinnen und Einwohner gelangt.

«Einschränkend und schädlich»

Bereits im Juni, nachdem Vertreter der Parteien, Vereine und Gewerbebetriebe über die Pläne informiert worden waren, tat sich Markus Hirschi mit Gleichgesinnten zusammen. Das Ziel war klar. «Wir müssen alles daran setzen, diese Projekte zu verhindern.» So wie 2013, als das Stimmvolk «dank der bürgerlichen Opposition», wie Hirschi sagt, die Einführung von flächendeckendem Tempo 30 auf den Gemeindestrassen deutlich abgelehnt hatte. Dass der Gemeinderat das Thema nun schon wieder aufs Tapet bringe, sei unverständlich. Und diesmal gehe es noch um viel mehr als vor zehn Jahren, betont Hirschi. Denn jetzt wolle auch noch der Kanton das Tempo auf der Hauptstrasse reduzieren. «Links-grün» sei da schon lange am Stossen.

Es gehe um ein «teures, ideologisches Mobilitäts-Einschränkungs-Projekt» zum «dauerhaften Schaden» der Dörfer und der Landbevölkerung, steht auf dem Flugblatt. Auch von einer «teuren und völlig unnötigen städtischen Zwängerei» ist die Rede.

Wenn nötig Initiative starten

Dass es Sinn machen könne, punk­tuell Tempo 30 einzuführen, bestreitet Markus Hirschi nicht. So etwa im Bereich der Schule, der Altersheime und bei der Firma Neopac, wo viele Lastwagen verkehren und ein Schulweg durchführt. Eine flächendeckende 30er-Zone auf dem ganzen Gemeindegebiet inklusive Kantonsstrasse sei aber aus Sicht des Komitees inakzeptabel. Vor allem müsse die direkt betroffene Bevölkerung darüber entscheiden können, betont Hirschi. Deshalb verlangt das Komitee eine Abstimmung und kündigt an, «wenn nötig eine Unterschriftensammlung für eine Initiative zu starten».

Zuerst die Meinung sagen  

Mit seiner Forderung rennt das Komitee bei Gemeindepräsidentin Bettina Gerber offene Türen ein. Für sie sei klar, dass die geplante Verkehrsberuhigung im Dorfkern, also das Projekt der Gemeinde, der Stimmbevölkerung vorgelegt werde. Doch so weit sei man noch nicht. Zuerst gehe es darum, dass die Bürgerinnen und Bürger in der Mitwirkung ihre Meinung äussern könnten, betont Gerber. Sie verwahrt sich gegen den Vorwurf, dass der Gemeinderat aus ideologischen Gründen handle. Ebenso wenig wolle man hinter dem Rücken der Bevölkerung etwas einführen, was diese vor zehn Jahren abgelehnt habe. Dieser Entscheid sei in den Köpfen des Gemeinderats und der Behörden durchaus noch präsent. Das heutige Projekt lasse sich jedoch nicht mit jenem von 2013 vergleichen. Anders als damals und anders, als vom Komitee dargestellt, gehe es nicht um die flächen­deckende Einführung von Tempo 30 auf dem ganzen Gemeindegebiet, sondern nur im innersten Dorfkern, erklärt die Gemeindepräsidentin. Sie gibt ebenfalls zu bedenken, dass die Ausgangslage heute eine andere sei. Der Verkehr habe deutlich zugenommen und, so ihre Prognose, werde weiter zunehmen. Bettina Gerber nennt als Beispiel das Vogt-Areal, wo 70 Wohnungen entstehen sollen, was entsprechend mehr Verkehr nach sich ziehen werde. Auch die Schulweg­sicherheit bleibe mit dem Bevölkerungswachstum ein wichtiges Thema.

Kaum Spielraum bei Kantonsstrasse 

Eine andere Geschichte ist die Sanierung der Ortsdurchfahrt, wo ebenfalls Tempo 30 eingeführt werden soll (siehe Kasten). Hier ist der Kanton federführend. Deshalb, erklärt Bettina Gerber, sei der Spielraum für Gemeinde und Bevölkerung bei diesem Projekt klein.

Wie dies alles ankommt, wird am Infoabend vom 1. November (19.30 Uhr) bekannt werden. Dieser findet in der Aula der Sekundarschule statt –  mit hoffentlich genügend Stühlen.

Das Mitwirkungsverfahren zu den Verkehrsprojekten im Dorf Oberdiessbach (Verkehrsberuhigung Ortskern und Sanierung Ortsdurchfahrt) startet am 30. Oktober und dauert bis 30. November.

Dank Tempo 30 die Lärmgrenzwerte einhalten

Dass die Hauptstrasse durch Oberdiessbach sanierungsbedürftig ist, merkt, wer darüberfährt. Der Kanton plant jedoch nicht nur die Erneuerung des Belags. Vielmehr soll mit verschiedenen Massnahmen die Verkehrssicherheit erhöht, der Strassenraum aufgewertet und der Lärm reduziert werden, wie Luc Schiffmann, Projektleiter beim Oberingenieurkreis II des kantonalen Tiefbauamtes, informiert. Vom Kreisel Linden bis zum Bahnübergang soll neu Tempo 30 gelten. Als Grund für diesen bei der Bevölkerung umstrittenen Schritt (siehe Hauptartikel) nennt Schiffmann die Lärmgrenzwerte, die bei einer Mehrheit der Liegenschaften entlang der Thun-strasse und der Burgdorfstrasse überschritten werden. Die Überschreitung betrage zwischen ein und sechs Dezibel. «Der Strasseneigentümer, in diesem Fall der Kanton, ist für diese Liegenschaften sanierungspflichtig», hält Schiffmann fest.

Flüsterbelag reicht nicht

Allein mit einem lärmmindernden Belag (Flüsterbelag) könnten die Grenzwerte nicht eingehalten werden. Aus diesem Grund brauche es als weitere Massnahme zur Lärmreduktion Tempo 30, so Schiffmann. Damit könne nicht nur der Lärm ausreichend reduziert, sondern auch die Verkehrssicherheit erhöht, der Verkehrsfluss verstetigt und der Schadstoffausstoss vermindert werden.

Weiter sind bauliche Massnahmen geplant. Die Strasse erhalte ein neues Gesicht, erklärt der Projektleiter.
«Ein breiter, abgeschrägter Randstein verschmälert die Strasse optisch, ohne aber das Kreuzen massgeblich zu behindern.» Auf die Markierung einer Mittellinie werde verzichtet, Bäume und Bänke würden an ausgewählten Stellen platziert, die Beleuchtung werde angepasst.

Keine Abstimmung möglich

Dem Ansinnen des Gegenkomitees, eine Gemeindeabstimmung zu erwirken, erteilt Luc Schiffmann eine Absage. Weil der Kanton gesetzlich verpflichtet sei, die Lärmgrenzwerte einzuhalten, sei keine Abstimmung möglich. Die Bevölkerung könne sich jedoch während der öffentlichen Mitwirkung zum Vorhaben äussern. «Wir werden alle Eingaben prüfen und bestmöglich im Projekt berücksichtigen», verspricht Schiffmann.

26.10.2023 :: Silvia Wullschläger (sws)