Wann ist ein Stau ein Stau?

Wann ist ein Stau ein Stau?
Von rechts: Moderatorin Nina Zosso, Michael Elsaesser, Nadja Umbricht Pieren, Andrea Rüfenacht und Daniel Bachofner. / Bild: Bruno Zürcher (zue)
Oberburg: Die Befürworter und die Gegner von «Emmentalwärts» kreuzten die Klingen in jenem Dorf, das am meisten unter dem Strassenverkehr ächzt. Man war sich erwartungsgemäss uneinig.

«Vielleicht erachten wir nicht dasselbe als Stau», sagte SP-Grossrätin Andrea Rüfenacht an die Adresse von Michael Elsaesser. Der FDP-Grossrat hatte zuvor erklärt, dass er in Kirchberg wohne und in Sumiswald arbeite und deshalb oft mit dem Auto zwischen Hasle und Burgdorf unterwegs sei: «Ich stehe zu jeder Zeit auf dieser Strecke im Stau.»

Sie sei auf dieser Strecke ebenfalls beruflich unterwegs und stelle fest, dass sich die Strassenfahrzeuge am Morgen und Abend während der Werktage wirklich während zwei Stunden stauten. Sonst fliesse der Verkehr zwar nicht super, aber man komme vorwärts, beschrieb Andrea Rüfenacht die Situation an der Podiumsdiskussion im Restaurant Steingrube am Montagabend. Fast alle sässen alleine im Auto und würden oft nur kurze Strecken fahren. «Von Hasle nach Burgdorf, um dort etwa Tennis zu spielen oder umgekehrt, um in der Migros in Hasle einzukaufen», beschrieb Rüfenacht. «Dabei hätte es eine Bahn!» Daniel Bachofner, Präsident der Grünen Emmental, hieb in dieselbe Kerbe: «Wie in anderen Lebensbereichen auch, muss man Anreize schaffen, damit sich die Leute ändern.» Der Ausbau der Strassen sei hier entschieden der falsche.


Mehr Lebensqualität

«Es geht nicht nur um Autos», entgegnete SVP-Nationalrätin Nadja Umbricht Pieren. «Es geht auch um die Lebensqualität der Menschen, die an dieser Strasse wohnen.» Und das Projekt «Emmentalwärts» ermögliche auch, dass sich die Wirtschaft entwickeln könne. «Man könnte sicher noch das eine oder andere verbessern – für mich hat es etwas zu viele Tempo-30-Zonen – aber insgesamt finde ich, haben wir hier einen guten Kompromiss, der allen Verkehrsteilnehmern etwas bringt.» 

«Das kantonale Tiefbauamt machte gute Arbeit. Das Projekt ist technisch super.» Diese Aussage machte im proppenvollen «Steingrube»-Saal nicht etwa ein Befürworter, sondern Daniel Bachofner, welcher ja als Gegner an der Diskussion teilnahm. «Man könnte aber mit viel weniger Geld ebenso viel erreichen», fügte er an. Wenn die Ortsdurchfahrten aufgewertet und die beiden Bahnübergänge in Burgdorf durch Unterführungen ersetzt würden, verflüssige sich der Strassenverkehr schon merklich. «Es ist wirklich eine Frage des Preises.» Das Verkehrsprojekt Burgdorf-Oberburg-Hasle wird insgesamt 424 Millionen Franken kosten, wie Kreisoberingenieur Roger Schibler eingangs der Veranstaltung ausführte. Nach Abzug der Bundesgelder hat der Kanton 314 Millionen zu zahlen. Über diesen Kredit wird die Bevölkerung des Kantons Bern am 12. März abstimmen.


Günstigere Ideen

Ein Dorn im Auge ist der Gegnerschaft vor allem der geplante Tunnel in Oberburg, welcher hohe Kosten verursacht. «Dieser hat nur einen lokalen Effekt. Der Region bringt er nichts», ist Andrea Rüfenacht der Meinung. Wenn so viel Geld für «Emmentalwärts» verschwendet werde, fehle es an anderen Orten im Kanton, welche ebenfalls unter hohen Verkehrsaufkommen zu leiden hätten. Warum der Kanton Bern hier einen Tunnel bauen wolle, sei ihr schleierhaft, zumal derselbe Kanton etwa in Köniz und Wabern viel günstigere Massnahmen umgesetzt habe. 

Diese Kritik rief Kreisoberingenieur Roger Schibler auf den Plan: Die beiden Projekte seien nicht vergleichbar. Hier im Emmental sei der Durchgangsverkehr viel höher. «Hasle hat übrigens praktisch gleich viel Verkehr wie Burgdorf, das erstaunt viele.» Es genüge nicht, die beiden Bahnunterführungen in Burgdorf zu bauen, erklärte Schibler, der sich seit rund zehn Jahren mit «Emmentalwärts» beschäftigt. «Die Busse stehen dann immer noch im Stau. Deshalb brauchen wir die Busspuren zwingend.»

Auch Michael Elsaesser ist vom Nutzen des vorliegenden Projekts überzeugt: «Der Bund gewährt seine Beiträge nur, wenn der Nutzen nachgewiesen ist: Und das ist hier der Fall.» Bei der Variante «Null+», die eine Optimierung der bestehenden Strasse vorgesehen habe, sei das Resultat hingegen negativ ausgefallen.


Solidarität mit dem Emmental?

Aus dem Publikum wurde gefordert, dass sich nun die Kantonsbevölkerung mit dem Emmental solidarisch zeigen solle. «Schliesslich hat man mehr als eine Viertelmilliarde für das Tram in Ostermundigen ausgegeben», sagte ein junger Mann. «Zu Recht», sagte Andrea Rüfenacht darauf. «Das Tram transportiert nun mal pro Energieeinheit mehr Menschen als Autos.» Ein anderer Mann sprach zu Andrea Rüfenacht: «Sie sollten mal nach Rüfenacht gehen und schauen, was ein Tunnel bewirken kann. Früher stauten sich die Autos von Worb durch Rüfenacht bis auf die Autobahn. Heute nicht mehr.» Sie kenne die Situation, ihr Bruder wohne dort. Dieser habe festgestellt, dass es immer noch gleich viele Autos habe. Ein dritter Votant warf SP und Grünen Doppelmoral vor: Auf der einen Seite sprächen sie sich gegen den Tunnel aus, auf der anderen Seite klagten sie über den hohen Landverschleiss. «Dabei wird fast die Hälfte der benötigten 2,7 Hektaren für Velowege gebraucht.»


Nicht mehr ÖV-Verbindungen  

«Wie viele zusätzliche ÖV-Verbindungen sind in Zusammenhang mit dem Projekt geplant?», lautete ein weitere Frage aus dem Publikum. Derzeit seien keine neue Verbindungen geplant», sagte Nadja Umbricht Pieren. Und Andrea Rüfenacht rief: «Da seht ihrs, es geht nur darum, dass die Autos profitieren können!» Bei dieser Aussage platzte dann dem Gemeindepräsidenten von Hasle, Raymond Weber, der Kragen: «Ihr von der SP wollt immer auf den ÖV umlagern. Von Hasle fahren morgens drei Züge Richtung Bern – die sind immer ‹brätschvou›. Und euer staatlich unterstütztes Bahnunternehmen will die Linie erst im Jahr 2035 ausbauen. Mach doch dort mal Druck, statt hier ein gutes Verkehrsprojekt verhindern zu wollen!» 

09.02.2023 :: Bruno Zürcher (zue)