Eine Gemeinschaft mit klösterlichem Flair

Eine Gemeinschaft mit klösterlichem Flair
Lukas Fries-Schmid und Sandra Schmid Fries vom Kernteam im Haus der Gastfreundschaft. / Bild: Bruno Zürcher (zue)
Schüpfheim: Das Kapuzinerkloster wandelte sich vor 30 Jahren zum «Sonnenhügel – Haus der Gastfreundschaft». Die Gemeinschaft wird nach wie vor von vielen Menschen gebraucht.

«Als ich hier ankam, machten sie in der Küche gerade Ketchup», berichtet Vera (Name geändert) und hält einen Moment inne. «Ich war einfach froh, nicht mehr alleine zu sein und fühlte mich von Anfang an wohl.» Das lag weniger am leckeren Ketchup als an der unbürokratischen Art, wie sie im einstigen Kapuzinerkloster in Schüpfheim aufgenommen wurde. Nach einem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik wusste sie nicht, wie es weitergehen soll. Eine Freundin habe ihr geraten, auf dem Sonnenhügel – im Haus der Gastfreundschaft – anzurufen. «Das tat ich dann und schon ein paar Tage später fand das erste Gespräch statt», berichtet Vera weiter. Die Kerngemeinschaft, welche die Institution trage, sei extrem flexibel und offen, berichtet sie. Das übertrage sich auf die Gäste, welche dort für Wochen oder Monate ein Zuhause finden. «Dann hat mich sicher auch der klösterliche Rahmen angesprochen.» 

Das erstaunt ein wenig, wenn man erfährt, dass die Frau, welche in einer katholischen Familie aufgewachsen ist, dann einer Freikirche angehörte und später beim Buddhismus gelandet ist, an sich mit dem Thema «christliche Religion» abgeschlossen hatte. Vera hebt die Schultern. «Vielleicht liegt es daran, dass die Kerngemeinschaft zwar ihren christlichen Glauben lebt, aber sehr offen ist», sagt sie. «Besonders geniesse ich jeweils die Stille. Man ist ganz für sich und doch zusammen.»


Stille und Gebet

Stille. «Sie ist ein fixer Bestandteil der Gebetszeiten», sagt Lukas Fries-Schmid von der Kerngemeinschaft. «Daneben lesen wir Texte und singen Lieder.» Inhaltlich seien diese geprägt von der Taizé-Bewegung, einer ökumenischen Gemeinschaft in Frankreich. «Wir haben christliche Wurzeln, leben aber einen multireligiösen Glauben. Wir suchen Anknüpfungspunkte.» Seine Frau, Sandra Schmid Fries, ergänzt: «Wir sehen das Verbindende.»

Die beiden leben seit 2009 im einstigen Kapuzinerkloster und sind damit die langjährigsten Mitglieder der Kerngemeinschaft, die den «Sonnenhügel – Haus der Gastfreundschaft» führt. Ergänzt wird sie durch Elisabeth Staubli, Richard Holdener sowie Sandra Unternährer. Seit 2013 sind Lukas Fries-Schmid und Sandra Schmid Fries Eltern der Zwillingstöchter Mirjam und Salome. Wie lässt sich Beruf und Familie trennen? «Der Sinn des Lebens lässt sich nicht trennen», sagt Lukas Fries-Schmid spontan. Sie sei auf einem Bauernhof aufgewachsen, ergänzt seine Frau. «Es gibt hier in der Umgebung viele Landwirtschaftsbetriebe, auf denen die Familien Arbeit und Familie auch nicht trennen können; beides ist Leben.» – Lukas Fries-Schmid bringt es auf den Punkt: «Wir als Familie leben im Kloster und schlafen in unserer separaten Wohnung.»


Arbeit und Anerkennung

Am Mittag trifft sich jeweils die ganze Gemeinschaft im Refektorium, wie der Speisesaal des Klosters genannt wird. Das Gebäude verfügt über 13 Zimmer – Lukas Fries-Schmid findet die originale Bezeichnung «Zellen» etwas gar hart. Dorthin können sich die Gäste zurückziehen oder an der Gemeinschaft teilnehmen. Der klösterlichen Tradition entsprechend ist die Arbeit fixer Bestandteil des Alltags. Am Vormittag, nach der Gebetszeit und dem Morgenessen, wird die Arbeit verteilt. Das Mittagessen zubereiten, die Wäsche machen und im und ums Haus putzen sind die Klassiker. Von Frühling bis Herbst gibt es auch im Garten viel zu tun. «Durch die Arbeit machen die Gäste die Erfahrung: Es kommt auf mich an.» Daneben können sie sich auch in den Ateliers betätigen. Im geräumigen Anbau, der 2018 erstellt wurde, stehen Webstühle, Staffeleien und Werkbänke, welche darauf warten gebraucht zu werden.  

«Es geht darum, zu machen und nicht darum, fertig zu werden», beschreibt Vera das Arbeiten. Manchmal arbeite sie lieber für sich alleine, etwa Wäsche bügeln oder Kartonschachteln gestalten. «Andere Gäste baut es auf, in der Gemeinschaft zu arbeiten, zum Beispiel in der Küche.» Die Aufteilung, morgens zu arbeiten und am Nachmittag frei zu haben, sei für sie ideal, hat Vera festgestellt. Während andere gerne in den Ateliers wirken oder zusammen spielen, gehe sie dann oft spazieren. «Die Natur ist hier so nahe. Das tut richtig gut», schwärmt Vera. Auf einer hölzernen Tafel im Eingang können die Bewohnenden sehen, wer im Haus ist und wer nicht. Sie gehe auch ab und zu Freunde besuchen oder habe Termine für die Therapie, sagt Vera.


Geborgenheit und Freiheit

«Unsere Gäste sollen sich nicht von der Umwelt abschotten», sagt Lukas Fries-Schmid. «Für einen Moment kann das gut sein, aber irgendwann muss man wieder Kontakte draussen knüpfen.» Manche Gäste kommen regelmässig für eine Woche ins Kloster, um zu entschleunigen. Andere leben einmalig für Monate in der Gemeinschaft. «Wir achten darauf, dass immer mindestens ein Bett frei ist, damit wir rasch reagieren können», sagt Sandra Schmid Fries. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass in letzter Zeit immer mehr Menschen plötzlich nicht mehr wissen, wie es weitergehen soll. «In den psychiatrischen Kliniken sind die Wartezeiten zum Teil so lange, dass die Leute einfach froh sind, einen Ort zu haben, wo sie hin können, statt daheim in der Wohnung zu sitzen.» Eine psychiatrische Klinik ersetzen, kann und will der «Sonnenhügel» nicht. «Aber wir können ein Brückenangebot sein», sagen die beiden, welche Theologie studiert haben. Sandra Schmid Fries hat zusätzlich eine psychologische Ausbildung absolviert.


Anfang und Unterstützung

Lukas Fries-Schmid weilte erstmals vor 25 Jahren als Zivildienstleistender im ehemaligen Kapuzinerkloster, das heute der Stiftung Edith Maryon gehört. Sie vermietet dieses zu günstigen Konditionen an den Verein «Sonnenhügel – Haus der Gastfreundschaft». Gegründet wurde die Institution vor 30 Jahren mit Hilfe der Kapuziner. Die Zeit habe bewiesen, dass es diese Institution brauche – und sie erfährt viel Unterstützung. Die Gemeinschaft kann auf eine ganze Reihe von Freiwilligen zählen. Dabei handle es sich um Leute aus der Region wie auch um Menschen aus der ganzen Schweiz, die einst zu Gast waren. Die Hilfe sei ganz unterschiedlich. Eine Person komme einmal pro Jahr vorbei und schneide die Obstbäume, andere leiten regelmässig an Wochenenden mit. «Die Freiwilligen bringen etwas, nämlich Zeit, und nehmen ein Stück Gemeinschaft mit heim», fasst Sandra Schmid Fries zusammen. Die Kerngemeinschaft arbeitet für Kost und Logis. Nur dank Spenden kann sich der Betrieb finanzieren. Der Richtpreis für die Gäste beträgt 50 bis 100 Franken pro Tag. Die Zahlungen der Gäste machen in der Rechnung des Vereins rund die Hälfte der Einnahmen aus, der Rest sind Spenden. Die beschränkten finanziellen Mittel bringen es mit sich, dass das Leben im Kloster materiell bescheiden ist.


Einfachheit und Zukunft

«Der einfache Lebensstil gefällt mir», hat Vera erkannt. Sie überlegt sich, künftig statt eine eigene Wohnung zu mieten, vielleicht eine alternative Wohnform zu prüfen – am liebsten auf dem Land. «Das wäre schön!» In den Monaten auf dem «Sonnenhügel» konnte Vera schon viele Fragen klären. «Hier wird man wirklich gesehen und nicht einfach in eine Schublade gesteckt.»

02.02.2023 :: Bruno Zürcher (zue)