Der Bohrturm unweit des Dorfes Linden war vor 50 Jahren unübersehbar. / Bild: Hansruedi Lehmann
«Grosse Pläne» – Serie (2/4): Vor 50 Jahren war in Linden das grosse Erdölfieber ausgebrochen. In Erinnerung geblieben ist den Zeitzeugen vor allem eine heftige Explosion.
«Das war ein Riesenknall. Ich war sofort wach. Und dann herrschte ein Lärm, als ob ständig Fliegerstaffeln übers Haus donnern würden», berichtet Hansruedi Lehmann. Er war 24-jährig, als sich beim Bohrturm in Linden eine heftige Explosion ereignete.
Auch Heinrich Burkhalter, damals 29-jährig, erinnert sich an diese legendäre Nacht. «Ich war an einem Aufrichtefest im Restaurant Linde», beginnt er zu berichten. «Paul Linder, der damalige Gemeindepräsident, war auch dabei. Er wurde dann so um 22.00 Uhr abgeholt; wir wussten also, dass irgendetwas im Argen lag.» Die Explosion um zirka 1.00 Uhr habe dann das ganze Gasthaus erzittern lassen. «Dann sind wir hinausgefahren und haben das Ganze aus der Distanz beobachtet. Ich werde die riesige Flamme nie mehr vergessen.» Burkhalter weiss auch noch, dass es zunächst nicht gelang, das unter hohem Druck ausströmende Gas zu entzünden: «Dann kamen Polizeigrenadiere mit Flammenwerfern und es funktionierte», berichtet Burkhalter, der im Militär als Grenadier an genau dieser Waffe ausgebildet worden war.
Das Gas, welches bei der Bohrstelle aus dem Erdreich trat, wurde vor Ort abgefackelt. Und das dauerte. «Das Feuer brannte mehrere Wochen lang», erinnert sich Hansruedi Lehmann. «Nachts wurde es nie mehr ganz dunkel.»
Nachdem das Gas keine Gefahr mehr darstellte, liefen die Bohrungen weiter. Sie endeten in einer Tiefe von 5446 Metern! Es handelte sich damals um das tiefste Bohrloch der gesamten Schweiz. In dieser Tiefe traf man auf eine Salzschicht. Darunter wurde aber Erdöl vermutet. Um noch tiefer vordringen zu können, wäre aber ein neuer, grösserer Bohrturm nötig gewesen. Die Betreiberfirma scheute die zusätzlichen Kosten und beendete die Probebohrungen.
Kanton Bern beteiligte sich
Die bernische Regierung hatte 1968 dem Berner Erdöl-Konsortium eine Schürfbewilligung für den Standort in Linden erteilt. Der Kanton beteiligte sich auch finanziell an dem Vorhaben und sorgte vor: Für den «Fündigkeitsfall» sicherte man sich das Recht, in der «Ausbeutungsgesellschaft eine schweizerische Mehrheit von 51 Prozent» zu halten.
Schon bevor die Bohrungen begannen, fanden umfangreiche Abklärungen statt. Lastwagen mit Vibroplatten wurden für seismische Messungen eingesetzt und an verschiedenen Stellen Sprengungen durchgeführt, erinnern sich Lehmann und Burkhalter. Der Lärm war quasi ein Vorgeschmack auf die Bohrarbeiten. Gebohrt wurde im Schichtbetrieb – sieben Tage, 24 Stunden. «Ich weiss noch, wie es plötzlich an einem Sonntagmorgen still war», berichtet Hansruedi Lehmann. «Das war ganz ungewohnt.» Erst später habe man erfahren, dass sich auf der Bohrplattform ein Unfall ereignet habe. Um die rund zehn mal zehn Meter grosse Betonplatte eben bauen zu können, wurde eigens eine Strasse erstellt, ein Hang abgetragen und der Bach, welcher dort floss, in Rohre eingelegt.
«Erdöl war damals fortschrittlich»
Die Bohrarbeiten dauerten anderthalb Jahre. Das Dach des nächstgelegenen Hauses sei vom Bohrstaub und der Feuchtigkeit völlig verschmutzt gewesen, erinnern sich die beiden Augenzeugen. Würden sich die Bewohner heute so etwas gefallen lassen? «Das war eine ganz andere Zeit», sagt Heinrich Burkhalter, der dann von 1980 bis 1991 dem Gemeinderat Linden angehörte und diesen während sieben Jahren präsidierte. «Erdöl galt als fortschrittlich und die Bevölkerung stand hinter der Idee.» Auch mit den rund 40 Arbeitern, meist Franzosen, habe es keine Probleme gegeben. Sie seien oft im Restaurant Linde verpflegt worden und hätten Kontakte zu Einheimischen gepflegt. Manche seien im Winter sogar Skifahren gegangen am Lift, der wenige Jahre zuvor gebaut worden war. «Es gab sogar eine Liebschaft mit einer Frau aus Linden», erinnert sich Hansruedi Lehmann.
Wie hätte sich Linden entwickelt, wenn vor 50 Jahren Erdöl gefunden worden wäre? «Wenn der Bohrturm noch stehen würde, wäre das sicher eine Attraktion», meint Heinrich Burkhalter. «Andererseits», fügt Hansruedi Lehmann an, «hätte man sich wohl schon lange an diesen Betrieb gewöhnt.» An das Erdöl-Abenteuer erinnern heute nur noch die fast zugewachsene Betonplatte, auf der damals der Bohrturm gestanden hatte, und eine Flasche mit Erdöl im Gemeindearchiv.