Wie der Sohn des Bannermeisters Karriere machte

Wie der Sohn des Bannermeisters  Karriere machte
Bauernführer Hans Emmenegger wurde hingerichtet. Umso mehr erstaunt es, dass sein Sohn, Melchior, in höchste Ämter gewählt wurde. / Bild: zvg
Schüpfheim: Wie schaffte es Melchior Emmenegger, ­höchste Ämter bekleiden zu dürfen, wenn doch sein Vater als Rebell hingerichtet wurde. Ein Vortrag ging auf dieses Thema ein.

Die historisch Interessierten des Entlebuchs kennen zwei Sperrdaten in ihrer Agenda: den Samstag vor dem 1. Advent und den Palmsonntag, die Daten ihrer halbjährlichen Versammlungen. Diesmal trafen sie sich im Adlersaal in Schüpfheim und lauschten zwei erhellenden Referaten zur Geschichte des Entlebuchs. Den Anfang machte allerdings die junge, einheimische Jenny Kaufmann, die den Nachmittag mit drei Klavierstücken bravourös bereicherte.


Sohn des grossen Bauernführers 

Danach referierte Andreas Ineichen anhand der Biografie von Melchior Emmenegger über die Geschichte des Tales in den turbulenten Jahrzehnten nach dem Bauernkrieg. Melchiors Vater, Hans Emmenegger, hatte als Entlebucher Bauernführer seinen Einsatz für mehr Gerechtigkeit mit dem Leben bezahlt. Wie war es möglich, dass die patrizische Regierung Luzerns den Sohn des Rebellen bereits wieder in die höchsten Ämter aufsteigen liess, die der Landbevölkerung damals zugänglich waren, zum Weibel, zum Landeshauptmann und 1685 gar zum Landesbannermeister? War Melchior vielleicht ein Duckmäuser, ein Opportunist? «Nein, er war ein Realist», verteidigte Ineichen den damals wohl reichsten Schüpfheimer, Bauer in Siggenhusen, Alpbesitzer und 13-fachen Familienvater. «Er wehrte sich beispielsweise vehement dagegen, dass die eingesessenen Landleute ihre alten Rechte mit den Zugezogenen, den Hintersässen, teilen sollten. Er begrüsste es aber, dass bernische Küher auch in den Jahrzehnten der religiösen Streitigkeiten Entlebucher Alpen pachten durften, weil sie den Einheimischen in der Alpwirtschaft einen Schritt voraus waren.» Allerdings mit der Einschränkung – abgestraft mussten die Irrgläubigen ja sein – dass sie Frau und Kinder zuhause lassen mussten und nur während der Alpsaison im Land geduldet waren.


«Hintersässe» als Gemeindepräsident

Peter Studer, langjähriger Gerichtspräsident im Entlebuch und in Luzern, legte in seinem Referat dar, wie sich das Gemeinwesen im Entlebuch in den letzten 250 Jahren entwickelt hat: aus der fast vollständigen Rechtlosigkeit vor 1798, als die Gemeindevorsteher noch durch die Luzerner Regierung bestimmt wurden, zu immer grösserer Volkssouveränität.

In seinem Grusswort fragte der Schüpfheimer Gemeindepräsident Hanspeter Staub, was wohl Melchior Emmenegger dazu sagen würde, dass jetzt ein Ostschweizer, ein Hintersässe, als Präsident seiner Gemeinde amtierte.

Vereinspräsident Anton Schwingruber – ehemaliger Regierungsrat – gab zum Schluss einen kurzen Ausblick auf die weiteren Aktivitäten des Vereins. Im kommenden Jahr feiert der Historische Verein des Entlebuchs sein hundertjähriges Bestehen. Er war 1923 mit einer Gedenkschrift über Franz Joseph Stalder, den Escholzmatter Pfarrer und Dialektforscher, gegründet worden. Die Entwicklung der Mundart, das Hauptthema des vielseitigen Geistlichen, soll deshalb im Zentrum des Jubiläumsjahres stehen. 

01.12.2022 :: Rudolf Trauffer (rtt)