Tinu Heiniger war schon in jungen Jahren ein guter Beobachter

Tinu Heiniger war schon in jungen Jahren ein guter Beobachter
Gebannt lauschen die Zuhörerinnen und Zuhörer den Worten Tinu Heinigers bei der Lesung im Chüechlihus. / Bild: Bettina Haldemann-Bürgi (bhl)
Langnau: Tinu Heinigers zweiter Erzählband gefällt. Man bewundert die Erzählkunst des Liedermachers, freut sich am Lokalkolorit und staunt über das reiche Innenleben des Autors.

Tinu Heiniger lässt in seinem neuen Buch die 50-er und 60-er Jahre aufleben. Viel Platz räumt er seiner Familie ein, die in Langnau an der Oberstrasse eine Schreinerei besass. Seine amüsanten Beschreibungen sind gleichzeitig ein Zeitdokument. Vieles, was beschrieben wird, etwa die patriarchalische Ordnung, existierte nicht nur bei Heinigers, sondern war typisch für die damalige Zeit. 

Von seinem Vater wie von seinem Grossvater zeichnet Tinu Heiniger berührende Bilder, die auch Peinliches und Unrühmliches zu Tage bringen. So können beide Männer toben und am Mittagstisch eine Saustimmung verbreiten. Der Grossvater, der im obersten Stock wohnt, lehrt den Enkel schnitzen und flickt immer wieder das Fenster der Schreinerei, wenn die Scheibe beim Fussballspielen kaputt geht. Er ist aber auch fromm. Dass er bei besonderen Momenten laut betet und einen «sentimentalen Singsang» anstimmt, irritiert den Jungen. Ganz ohne Widersprüche ist die Grossmutter. Bei ihr erlebt er Momente tiefer Geborgenheit, kostbare Augenblicke, die ihn später zu einem Gedicht inspirieren. 


Vaters Erfindungen

Der Vater ist klein und muss sich immer strecken, wenn er mit anderen Leuten spricht. Zum Leidwesen seiner Frau denkt er lieber an seine Erfindungen als an die Fabrikation schöner Möbelstücke. Oft ist er unzufrieden und wütend. Tinu Heiniger: «Die Mutter musste sich in ihrem Atelier oder in der Küche anhören, was für Idioten doch die anderen seien und was für einen Pfusch und was für einen Seich dieser oder jener wieder gemacht habe.» 

Einmal verblüfft der Vater den Sohn. Nach einer erfolgreichen Messewoche, die dem Vater viele Aufträge einbringt, steht die gemeinsame Heimfahrt von Basel nach Langnau bevor. «Wosch du heifahre», fragt der Vater. Tinu, siebzehn und noch ohne Fahrausweis, ist perplex. Von wo wusste der Vater, dass er Autofahren konnte? «Ja, no so gärn!», antwortet er und chauffiert den Vater heil durch die Nacht nach Hause.


Unendlicher Schatz 

In der Schule entdeckt Tinu die Freude am Sport (OL, Skifahren), er spielt im Fussballclub und ist SCL-Fan. Bei den Kadetten lernt der spätere Musiker und Songwriter Klarinette spielen, und im Theater- und Kunstverein kommt er mit Literatur in Berührung. Überall macht der Junge mit und ist dabei. Sechzig Jahre später lösen die Erinnerungen an diese Zeit beim Autor Glücksgefühle aus, die sich auf den Leser übertragen. Unendlich gross scheint der Schatz zu sein, aus dem Tinu Heiniger schöpft und mit dem er sich und hoffentlich viele Leserinnen und Leser beglückt. 

06.10.2022 :: Bettina Haldemann-Bürgi (bhl)