«Die Medizin weiss viel – und doch so wenig»

«Die Medizin weiss viel –  und doch so wenig»
Der Hausarzt Armin Brunner begleitete Geburten, behandelte Kinder, Erwachsene und auch Spitzensportler. / Bild: Gabriel Anwander (agl)
Langnau: Armin Brunner kennt man als Hausarzt, Sportarzt bei den SCL Tigers sowie als Initiant des Sternsingens und der Krippenausstellung. Seine ärztliche Tätigkeit beendet er nun.

Armin Brunner ist praktizierender Hausarzt in Langnau. Auf die Frage, weshalb er Arzt geworden sei, antwortet er: «Ich wollte wissen, wie der menschliche Körper funktioniert.» Als Kind habe er sich für alles interessiert, das Räder hat und sich bewegt, er spielte mit der Eisenbahn, zerlegte Wecker und reparierte den Schulkollegen für ein Taschengeld ihre Carrera-Rennautos. Mit einem dünnen Kupferdraht wickelte er die verglühten Spulen der drei Anker im Elektromotor neu. Das Wegwerfen von Dingen, die bloss einen Defekt aufweisen, habe ihn schon immer gestört, sagt er, und fügt lachend an: «Schon damals bin ich ein heilloser Umweltschützer gewesen.»


Tiefe Demut vor dem Leben

In Zizers lebte und wirkte vor Brunners Zeit der bekannte und erfolgreiche Kräuterpfarrer Johann Künzle. Eines Tages lernte Brunner Künzles Nachfolger kennen, und da erwachte sein Interesse an der Medizin. Im Studium wurde er nicht enttäuscht. «Man lernt den menschlichen Körper tatsächlich kennen.» Die Erkenntnisse erzeugten in ihm aber auch eine tiefe Demut vor dem Leben. Die meisten Ärztinnen und Ärzte empfinden ähnlich wie er, davon ist Armin Brunner  überzeugt. «Die Medizin weiss viel und macht laufend Fortschritte, und doch wissen wir im Grunde wenig über den Organismus, über das Zusammenspiel des Ganzen, über das Leben im Allgemeinen.»


Lieber Hausarzt als Chirurg

Nach dem Studium arbeitete Brunner längere Zeit in der Insel in Bern auf dem Notfall. Die Erfahrungen, die er dort machte, seien ihm in den Anfangszeiten als Hausarzt nützlich gewesen. Ihm sei früh klar geworden, dass er kein Chirurg werden wollte, er sei ein Ausdauersportler, liebe Bewegung und ertrage jede Art von Einengung schlecht. Als Hausarzt habe er eine grosse Verantwortung, gleichzeitig mehr Freiheiten, als die Spezialisten. «Freiheiten gehabt, muss ich hier sagen, denn wir stehen mitten in einem starken Wandel.» Die Vorschriften und Regelungen und der damit verbundene administrative Aufwand nähmen laufend zu, er könne die jungen Ärzte verstehen, die unter diesen Umständen nicht den Mut aufbrächten, eine eigene Praxis zu eröffnen. Sie suchten sich einen Platz in einer Gemeinschaftspraxis, wo das finanzielle Risiko, der Notfalldienst und viele andere Dinge breit abgestützt seien. 


Patienten miteinbeziehen

Er habe gute Zeiten erlebt, machte Hausbesuche mit dem Velo, begleitete Geburten, behandelte Kinder, Erwachsene und Spitzensportler. Dabei half ihm die soziale Ader, die er von seinen Eltern mit auf den Weg bekam, alle Patientinnen und Patienten mit derselben Empathie zu behandeln. «Bei den Erwachsenen macht das Gespräch siebzig Prozent der Diagnose aus.» Wenn das Vertrauen da ist, seien die Untersuchungen in der Regel dazu da, Eventualitäten auszuschliessen, im Idealfall könne er dann die Patienten beim Entscheid über ihre Behandlung einbeziehen, die Verantwortung teilen. Bei der Behandlung von Kindern sei dies natürlich nicht möglich, hier trage der Arzt die volle Verantwortung und müsse die Eltern für die Behandlung gewinnen. 

Armin Brunner war bis letzte Saison während 25 Jahren auch Sportarzt der SCL Tigers. «Das ist nochmals eine ganz andere Dimension.» Vor der Saison untersuche er gesunde Menschen, nach jedem Spiel die verletzten Spieler. «Da bleibt einem keine Zeit.» Er könne einem Spitzensportler nicht sagen, er solle den Arm drei Tage schonen, dann würde sich zeigen, wie schwer die Verletzung sei. «Ich muss sofort eine Entscheidung fällen.»


«Wunderbare Botschaft erleben»

Brunner hat in Langnau die Tradition des Sternsingens neu belebt und das Ausstellen von Krippen im Dorf Langnau angeregt. «Im Kanton Graubünden herrscht seit langem ein religiöser Frieden. Das hat mich in meiner Kindheit geprägt.» Die Weihnachtsgeschichte sei eine wunderbare Botschaft. «Die Kinder können diese Botschaft beim Sternsingen erleben, und die Erwachsenen erleben ähnliche Eindrücke beim Betrachten der Krippen.»

Armin Brunner schliesst seine eigene Praxis Ende Monat. Seine Patientinnen und Patienten dürfe er in jüngere Hände übergeben, sagt er am Schluss des Gesprächs. «Darüber bin ich froh, denn das ist bei dem Mangel an Hausärztinnen und Hausärzten keine Selbstverständlichkeit.»

29.09.2022 :: Gabriel Anwander (agl)