Jasmin von Ballmoos absolviert im Alterszentrum Sumia das erste Praktikum in der Pflege. / Bild: Silvia Wullschläger (sws)
Sumiswald: Eigeninitiative entwickeln, Verantwortung tragen und Wissen weitergeben: Das schätzen die vier Studentinnen auf der Ausbildungsstation. Das «Sumia» ist Pilotbetrieb.
Eine Frau mit den schneeweissen Haaren sitzt am Fenster. Jasmin von Ballmoos kniet nieder und bietet ihr Tee an. «I ma nümm», sagt die Frau, nimmt aber bereitwillig einen Schluck. «Es ist heiss, trinken ist wichtig», sagt die angehende Pflegefachfrau HF (höhere Fachschule). Bald hat sie Feierabend. So wie Beatrice Burkhalter, die noch Medikamente für eine Bewohnerin ins Wochendosiersystem abfüllt.
Die beiden 19-jährigen Frauen
studieren Pflege HF am Berner Bildungszentrum Pflege. Aktuell absolvieren sie im Alterszentrum Sumia in Sumiswald ein Praxissemester – und zwar ein besonderes. Im neuen Pilotprojekt Ausbildungsstation tragen vier Studentinnen die Mitverantwortung für einen Teil der Wohngruppe. Jede ist Bezugsperson von drei Bewohnerinnen.
Austausch und Verantwortung
Nicht alle bringen gleich viel Wissen mit. Zwei der jungen Frauen schlossen die Lehre als Fachfrau Gesundheit EFZ ab, zwei haben das Gymnasium beziehungsweise die Fachmittelschule absolviert. So wie Jasmin von Ballmoos. «Ich arbeite das erste Mal in der Pflege und muss mir erst viel Grundwissen aneignen.» Umso mehr schätze sie, dass sie nicht die einzige Studentin auf der Wohngruppe sei und sich mit den anderen austauschen könne. Mehr Erfahrung hat Beatrice Burkhalter, die bereits das Fähigkeitszeugnis in der Tasche hat. Entsprechend kann sie gewisse Leitungsaufgaben übernehmen, etwa indem sie Lernende begleitet und Dienstpläne schreibt. Verglichen mit der Lehre trage sie nun mehr Verantwortung und es werde Eigeninitiative verlangt, erzählt Beatrice Burkhalter. «Hat ein Bewohner zunehmend Schmerzen, überlege ich, was man machen könnte, bespreche dies mit ihm und nehme direkt mit dem Arzt Kontakt auf», schildert sie ein Beispiel.
Das ganze Team muss mitmachen
Beide Studentinnen schätzen die enge Begleitung durch die Berufsbildnerinnen von Sumia und durch die Lehrperson der Schule. Diese ist zweimal pro Woche vor Ort. «Gemeinsam besprechen wir konkrete Fälle. Oder wir nehmen ein spezifisches Thema durch, mit dem jemand von uns konfrontiert war.» Theorie und Praxis seien so eng miteinander verbunden.
Anita Breitenberger ist eine der vier Berufsbildnerinnen auf der Ausbildungsstation. «Wir bleiben im Hintergrund und greifen nur ein, wenn es nötig ist», erklärt sie das Konzept. Mehrmals am Tag gebe es Rapporte. So sei sie stets im Bild, wer wo dran sei und wer welche Hilfe brauche. Die Berufsbildnerin lobt die Dynamik in der Gruppe und bezeichnet den Wissenstransfer als immens.
Dies bestätigt Michaela Heiniger, die bei Sumia für die Berufsbildung verantwortlich ist. Es sei eine innovative, zukunftsgerichtete Art der Ausbildung, findet sie. Doch sie funktioniere nur, wenn das ganze Team, ja der ganze Betrieb mitmache. Weil gleich vier Studentinnen auf einer Abteilung begonnen haben, gab es Personalrochaden. «Zudem haben wir die Organisation angepasst und arbeiten nun vorwiegend in Schichten ohne Unterbruch, also ohne Zimmerstunde», führt Michaela Heiniger aus. Ausserdem sei praktisch an jedem Tag eine Berufsbildnerin auf der Abteilung, was normalerweise nicht möglich sei.
Ein Kritikpunkt
Das Pilotprojekt Ausbildungsstation des Berner Bildungszentrums Pflege ist schweizweit das erste dieser Art. Die Auswertung wird zwar erst am Ende des Praxissemesters im Oktober gemacht. Das erste Fazit der vier befragten Personen ist aber mehrheitlich positiv. Einen Kritikpunkt, in dem sich alle einig sind, gibt es aber: Es war nicht ideal, dass die Einführung auf einer anderen Wohngruppe stattgefunden hat und nicht bereits auf der Ausbildungsstation. Das habe viel Unruhe in die Teams gebracht und die Studentinnen hätten sich nach drei Monaten wieder auf neue Bewohner und Bewohnerinnen einstellen müssen.
Doch inzwischen kennt Jasmin von Ballmoos die Frau mit den weissen Haaren. Sie weiss nun, dass sie auf fast alle Fragen mit «I ma nümm» antwortet.