Ein wunderbares Spektakel auf dem Käsebrett

Ein wunderbares Spektakel auf dem Käsebrett
Das überdimensionierte Käsebrett dient als Konferenzraum, Käserei, Hochzeitslokal und vieles mehr. Bild: Samuel Schüpbach
Affoltern: Die Bauern in der Vehfreude wollen mit ihrem Käse gross Kasse machen. Das Theater Lützelflüh bringt den Gotthelf-Klassiker in einer frischen Fassung auf die Bühne.

Ab der Emmentaler Schaukäserei in Affoltern führen Wegweiser zum Hof der Familie Megert, wo das Theater Lützelflüh in diesem Jahr «Die Käserei in der Vehfreude» gibt. Das Theatergelände, eingebettet in Wiesen und Felder, ist schon eine Attraktion für sich. Der Megert-Hof mit Baujahr anno 1797 bietet dem Käse- und Liebesspektakel basierend auf dem Stück von Jeremias Gotthelf ein stimmiges Ambiente. Das Publikum sitzt frontal zum Hof, linker Hand, nach hinten versetzt, prangt ein weiterer altehrwürdiger Hof und liefert eine Kulisse, die sich kein Bühnenbauer ausdenken könnte. Dafür wartet das Bühnenbild von Markus Gygax und Team mit originellen Details auf, die dem Zuschauenden allerlei zum Staunen bieten. Die Glocken der Kühe, das Zirpen der Grillen und der Duft von Heu tun ihr Übriges für ein sinnliches Vergnügen.

Die neue Theaterfassung von Gerhard Schütz verspricht besonders für Kenner des Gotthelf-Romans einen spannenden Abend. Denn der Autor drehte mit geschickten Eingriffen an der Aussagekraft des Werks. Ein riesiges, hölzernes Käsebrett dient als Käserei, Marktmittelpunkt, Konferenzraum oder Präsentierteller für allerlei Dialoge von zänkisch bis anbändelnd. Dazu gesellen sich grosse Käsestücke, deren Löcher problemlos als Griffmulden für die Umbauten dienen. 


Demokratie will gelernt sein

Im Emmentaler Dorf Vehfreude haben die Bauern eine Vision: Ihr Käse soll bis nach England, Russland und gar China gelangen, und sie alle werden im Geld schwimmen. Aber um eine Käserei aufzubauen, bei der jeder ein Mitspracherecht hat, müssen sie sich demokratisch verhalten. Doch was Demokratie ist, wissen höchstens ihre Gattinnen: «Demokratie ist, wenn Männer das abstimmen, was die Frauen ihnen befohlen haben.» Eine interessante Sichtweise angesichts des späten Frauenstimm- und wahlrechts in der Schweiz. 


Die «Ober-Ober-Ober-Häx»

Lautstark geht es zu und her auf dem Käsebrett, manchmal fliegen gar die Fäuste. Niedlich anzuschauen sind die Nebenschauplätze des Käsespektakels, wenn die Kinder Blinde Kuh oder «Versteckele» spielen, während Bäuerin Eisi ihre Hasstiraden vom Stapel lässt. Die Gute, oder besser gesagt die Böse, hat ihren Mann nicht nur unter der Knute, sondern schlägt ihn auch. Er nennt sie «Ober-Ober-Ober-Häx». Sie und auch viele andere Bäuerinnen fürchten mit der Gründung der Käserei um ihr Geld. Denn wenn die ganze Milch zu Käse verarbeitet wird, fallen ihre Einnahmen von Rahm und Butter weg. 

Doch Egli, der Fischfresser vom Thunersee, wie er beschimpft wird, lässt nicht locker, die Bauern von der Käserei zu überzeugen. Die Milchbehälter aus Holz möchte er gegen Blechkannen austauschen, denn Holz sei «unhügienisch». Doch der Käser, der fortan die Milch entgegennimmt, ist den Milchpanschern auf die Schliche gekommen und meint lakonisch: «Nehmt lieber Holz, Blech rostet.»


Eisi und andere Waschweiber

Das Änneli, einst Verdingkind, das jetzt bei der Schwester lebt, träumt von ihrem Traummann, dem Felix. Denn er nennt sie Anna und macht sie so zur Frau anstatt zum Neutrum. Anna ist nicht auf den Mund gefallen, was beim Wäsche aufhängen mit anderen Waschweibern deutlich wird. Die böse Eisi ist natürlich auch mit von der Partie, die sie übel als Hexe beschimpft. Doch Anna kostet den Moment aus, als sie Eisi erklärt, dass sie bald nicht mehr zum Waschplatz komme, weil sie bald ohne Mühe nach Hexenart im Haus waschen werde. Eisi wird angst und bange. 

Die Hochzeit von Anna und Felix findet natürlich auch auf dem Käsebrett statt. Die Gäste feiern das glückliche Paar mit einem genialen volkstümlichen Kreistanz unter der Choreografie von Selina Gerber und zu den stimmig untermalenden Akkordeonklängen von Andrea Doroftei-Strahm, Franziska Imhof und Roland Ochsner. Viele Lachmomente, Szenenapplaus und auffällig viele gezückte Smartphones zum Fotografieren zeugen davon, dass diese Inszenierung von Krista Schromm die Herzen des Publikums erobert. 

14.07.2022 :: Christina Burghagen (cbs)