Die faszinierenden Innereien der Nagelfluh

Die faszinierenden Innereien der Nagelfluh
Oft verrät der Stein beim äusseren Anblick nichts über sein interessantes Innenleben. / Bild: zvg
Schüpfheim: Im Entlebucherhaus fand die Buchvernissage und Präsentation von Andi Rieser zum Thema Nagelfluh statt im Rahmen der Kulturprojekte Innereien.

Der bildende Künstler Andi Rieser sammelt und bearbeitet Steine, die er an seinem Wohnort nahe Wolhusen gefunden oder bei landwirtschaftlichen Arbeiten aus den Felswänden herausgebrochen hat. «Bei der Nagelfluh handelt es sich um eiszeitliches Geröll aus den Alpen, welches dort erodierte und von Gletschern und Flüssen gerundet und ins Napfgebiet geschwemmt wurde. Hier wurden sie im Sandstein eingekittet und zu festen Konglomeraten verdichtet», erklärt Andi Rieser. Bekannt sind hierzulande die dunkelgrauen Steine mit den weissen Linien. «Dies sind in Steinklüften eingelagerte Kalzitkristalle», weiss er von seinem Freund und Geologen Helmut Weissert. 


Siebenmal geschliffen und poliert

«Durch das Aufschneiden mit einer Steinfräse und das Schleifen und Polieren der Schnittflächen offenbart sich in ihrem Inneren eine ungewöhnliche Vielfalt an Farben, Strukturen und Formen», meint der Künstler. In der Ausstellung sind diese Steine in Natura zu bestaunen. Andi Rieser berichtet, dass er sie siebenfach geschliffen und poliert hat, bis das Innere im Glanz erstrahlte. Egal ob gross oder klein, die Steine zeigen Linien, Flecken, Punkte, Umrisse, Einschlüsse. Einige lassen von aussen die Farbe im Innern erahnen, doch die meisten zaubern erst im Aufschnitt die wunderbarsten Farben hervor: weiss, beige, grau, schwarz, gelb, rot, braun, violett und grün. 


Ähnlichkeiten mit dem Fundort

Den Künstler freut es, dass er dank der Unterstützung der Koechlin Stiftung ein Buch gestalten konnte mit eindrücklichen Bildern seiner über drei Jahre bearbeiteten Steine. Die Fotoseiten zeigen einen Stein in Aussenansicht und daneben eine aufgeschnittene glänzende Hälfte. Fotos vom Fundort stellt Andi Rieser den Makroaufnahmen der Stein-Innereien gegenüber. Der Betrachter entdeckt Ähnlichkeiten, wie den gleichen Verlauf von Wasserfall und weisser Linie. Andi Rieser erzählt, dass er Bildelemente wie Blutadern, Baumkronen und Flussläufe erkennt und Strukturen wie Gespinste, Gischt, Laich oder Fettblasen. 

Zwischen den Bildseiten sind theoretische Kapitel eingestreut, eines von Andi Rieser selbst, wo er beschreibt wie er zu den Steinen der Nagelfluh kam; eines von Helmut Weissert über die Entstehung der Steine vor Jahrmillionen. Er schreibt unter anderem: »Die Steine der Nagelfluh sind ebenso Zeugen wie Symbole für die gewaltige Formkraft der Natur.» Die Kuratorin Jana Bruggmann umreisst die (kunst-)historische Ausdeutung.


Was ist im Inneren verborgen?

Die Nagelfluh ist nur eines von 20 Themen des Kulturprojekts Innereien.

Peter Kasper, Stiftungsratspräsident der Albert Koechlin Stifung, erklärt  im Prospekt den Zusammenhang dieses Kulturprojekts: «2001 hat die Albert Koechlin Stiftung ein Wettbewerbsformat entwickelt, in dem alle drei bis vier Jahre kulturelle Produktionen realisiert werden. 

Innereien – der erste Gedanke dazu: Eine traditionelle Metzgete. Doch das Thema führt weiter. Was ist im Inneren, im Kern verborgen? Was ist das Wesen von etwas?» So setzen die 20 Kulturprojekte auf unterschiedlichste Art dieses verblüffende Thema seit Mitte März und noch bis 15. Juni ins Zentrum und zeigen die kulturelle Vielfalt in den Kantonen rund um den Vierwaldstättersee. Mit eigenständigen Projekten verleihen die Kulturschaffenden dem Thema «Innereien» Ausdruck und machen es auf ihre Weise wahrnehm- und erlebbar.

Der Projektleiter Patrick Ambord beschreibt, was die Projekte umfassen: «Unter anderem stehen der Mythos Reduit, das Reinigende von Kläranlagen, Urbedürfnisse, Sex, Gefühle, das Innenleben eines Radios, Fasten, der Wunsch fliegen zu können, Käfer, Steine, und natürlich auch das Schwein im Fokus.»

Die Koechlin-Stiftung

Erben des Unternehmers Rudolf Albert Koechlin (1859?–?1927) haben die gemeinnützige private Stiftung 1997 gegründet. 

Auf ihrer Webseite beschreibt sie ihren Zweck wie folgt: «Unser Interesse gilt den Bereichen Soziales, Bildung, Kultur, Wirtschaft und Umwelt. In unsere Tätigkeit fliessen ausschliesslich Erträge des Stiftungskapitals. Wir stehen ein für Menschen in schwierigen Lebenssituationen, für die Förderung von Familie und Bildung, für eine lebendige Kulturlandschaft, für Klein- und Mittelbetriebe und für unseren Lebensraum.» Sie realisiert eigene Projekte und unterstützt auch Konzepte von Dritten.

Entlebucherhaus – das Kulturhaus in der Region

Das heutige Entlebucherhaus wurde 1914/15 von den Entlebucher Gemeinden als Kinderasyl gebaut. Waisenkinder, aber auch Kinder aus grossen, verarmten oder zerrütteten Familien lebten hier und besuchten die interne Schule. Zeitweise wohnten bis zu 160 Kinder in diesem Haus, betreut von acht bis zwölf Baldegger Schwestern. Das Heim als solches wurde 1962 aufgelöst. Der Kanton Luzern übernahm das Gebäude und richtete eine Sonderschule ein, welche 1975 in ihren Neubau, das heutige Heilpädagogische Zentrum Sunnebüel, umziehen konnte. 

Anschliessend diente ein Teil des Hauses als Provisorium für die Landwirtschaftlichen Schule und die Bäuerinnenschule bis 1991. Bereits 1978 wurde im zweiten Stockwerk ein Heimatmuseum eröffnet. Anlässlich des Jubiläums «600 Jahre Stadt und Kanton Luzern», schenkte der Kanton Luzern 1986 das Haus allen Entlebucher Gemeinden. So konnten einige Jahre später das Museum auf zwei Etagen ausstellen und das Kulturzentrum mit seinen Aktivitäten starten. Seit dem Zusammenschluss dieser beiden Vereine 2007 zum Verein Entlebucherhaus ist dieser für den Gesamtbetrieb im Haus verantwortlich. 

Heute ist das Entlebucherhaus das Kulturhaus in der Region. Ein einzigartiges Haus, in dem vergangenes regionales Kulturgut und aktuelles Kulturschaffen Platz finden. 

19.05.2022 :: Sylvia Ammann (sal)