Die Orgel auf Heiligkreuz umfasst insgesamt elf Register – zu sehen sind rechts jene des oberen Manuals wie auch der Pedale. / Bild: Anne-Käthi Flükiger (akf)
Heiligkreuz: Die Orgel der Wallfahrtskirche ist einzigartig. Sie ist in einem neuen Buch vermerkt – Grund genug, sie erklingen zu lassen.
«Es luegt es Chilchli wiit is Land
sid altersgrauer Ziit,
und grüesst die Dörfli umenand,
es sägnet Land und Lüüt.
S´isch s´heilig Chrüüz ob Hasle zue,
wenn Troscht du suechsch, so gang dert ue!»
So lautet die erste Strophe des Heiligkreuz-Lieds von Alfred Gassmann. Die Liedblätter sind sorgfältig hinten in die Gesangbücher eingeklebt. «Das Lied wird häufig am Schluss des Gottesdienstes gesungen,» erklärt Markus Zemp beim Eintreten in die Wallfahrtskirche. Sofort fallen einem die Kunstschätze im Chor und an den Wänden auf. Unser Besuch gilt aber nicht ihnen.
Ein versteckter Schatz
Wir interessieren uns für einen versteckten Schatz – für den es aber noch einen «Zauberer» braucht, damit dieser seine ganze Schönheit offenbart – die Orgel. Markus Zemp ist langjähriger Organist und Chorleiter in Schüpfheim; bis zu seiner Pensionierung leitete er zudem die Abteilung für Kirchenmusik an der Musikhochschule Luzern. Daher kennt er die Orgel auf Heiligkreuz seit Jahrzehnten. «Sie ist mir ans Herz gewachsen mit ihren wenigen, aber speziellen Klangfarben», hält Markus Zemp fest. «Und der Ort hier, die Kirche, die ganze Umgebung, bedeuten mir seit Kindsbeinen viel.» Was ist das Besondere an dieser Orgel? «Es ist die einzige Orgel im Entlebuch, die ihren historischen Charakter bewahrt hat. Sie ist fast in allen Bauteilen, vom Spieltisch über die 600 Pfeifen, die mechanische Übertragung bis zur Führung des Luftstromes original erhalten geblieben, wie sie Friedrich Goll im Jahr 1887 gebaut hat.»
Friedrich Goll (1839–1911), der Gründer der heutigen Orgelbaufirma Goll in Luzern, stammte aus Süddeutschland. Er hatte das Orgelbauhandwerk bei seinem Bruder erlernt und während Wanderjahren in Paris und England gründlich vertieft. Dann kam er zu Friedrich Haas nach Luzern, einem bedeutenden Orgelbauer des 19. Jahrhunderts. 1868 hat Friedrich Goll schliesslich die Haas´sche Werkstatt übernommen.
Den Moden widerstanden
Die Orgel auf Heiligkreuz umfasst elf Register. Zu jedem gehört eine Reihe speziell geformter Pfeifen, 56 Stück, zu jeder Taste eine. Das ergibt im Ganzen über 600 Pfeifen, die meisten sind im Innern des grossen Holzgehäuses verborgen. Sechs Register kann man von der unteren Tastatur anspielen, drei von der oberen und zwei mit dem Pedal. Die Heiligkreuz-Orgel enthält nur sogenannte Labialpfeifen, die nach dem Prinzip der Blockflöte gebaut sind; viele aus Zinn, andere aus Holz. Zungenpfeifen, in denen durch einen Luftstrom eine Metallzunge in Schwingung gerät, was einen trompetenähnlichen Ton erzeugt, fehlen bei dieser Orgel. Zur Zeit der Romantik (19. Jahrhundert) waren diese Klangfarben aus dem Barock nicht mehr gefragt und gerieten in Vergessenheit. «Die Abgeschiedenheit des Ortes, wohl auch die knappen Finanzen und das Fehlen eines Kirchenchores verhinderten das, was mit den übrigen Entlebucher Orgeln passierte: den Umbau nach dem jeweiligen Zeitgeschmack», vermutet Markus Zemp. Er greift in die Tasten, ohne Noten frei improvisierend, lässt das Instrument in seiner vollen Wucht erklingen, danach in den zartesten Himmelstönen. Er hat diese Orgel bei vielen fröhlichen und traurigen Anlässen gespielt – und auch bei festlichen, wenn einer der Entlebucher Kirchenchöre hier oben zu Gast war.
Aufwändiger Bau
Wie muss man sich den Bau einer Orgel im 19. Jahrhundert in dieser damals noch wenig erschlossenen Berggegend vorstellen? Vermutlich wurde das Instrument, in Einzelteile zerlegt, mit der kurz zuvor erstellten Eisenbahn von Luzern her angeliefert. Am Bahnhof in Hasle oder Schüpfheim warteten wohl Bauern mit ihren Pferdefuhrwerken, luden die vielen Kisten um und transportierten die wertvolle, gepolsterte Fracht in mehreren Fuhren den holprigen Karrweg hinauf an ihren Bestimmungsort, wo die Orgelbauer sicher wochenlang damit beschäftigt waren, das Instrument zusammenzubauen und zu intonieren.
Markus Zemp zieht seine abgetragenen Orgelschuhe, denen man den über 50-jährigen Dienst ansieht, aus. Wir treten ins Freie. Die Sonne bricht durch die Wolken und strahlt über die frisch verschneite Landschaft: ein Traumbild. Ja, in dieser Landschaft können Leib und Seele gesunden.