Das Museum entsammelt

Das Museum entsammelt
Die 120 Objekte, die eventuell aussortiert werden, lagern derzeit im Dachstock des Jugendhauses. / Bild: Markus Zahno (maz)
Langnau: Das Regionalmuseum Chüechlihus lanciert ein einzigartiges Projekt. Unter dem Titel «Entsammeln» trennt es sich von bis zu 120 Objekten. Auch die Bevölkerung kann mitreden.

Ungefähr 1000 Objekte sind im Regionalmuseum Chüechlihus in Langnau ausgestellt. 1000 – das ist viel. Aber es ist ein Klacks im Verhältnis zu den gegen 25´000 Objekten, die in den insgesamt sieben Museumsdepots lagerten.

Derzeit sind die Verantwortlichen daran, die kleinen Depots zu einem grossen zusammenzulegen. «Dabei wird jedes Objekt geprüft», sagt Museumsleiterin Carmen Simon. Wie gut ist der Zustand des Objekts? Wie bedeutend ist es für die Region? Wie gut ist seine Geschichte dokumentiert? Und wie viele ähnliche Objekte lagern bereits im Depot? Solche Fragen werden gestellt. Bei jedem einzelnen Stück.


Elf Stimmen

Bald hat sich herausgestellt: Viele Objekte sind gleich mehrfach vorhanden oder in der Sammlung übervertreten. Zum Teil ist auch wenig über ihre Geschichte bekannt. Von ihnen könnte man sich trennen. Sie einfach zu entsorgen, kommt aber nicht infrage. Und es wäre laut den Richtlinien des Museumsverbandes auch nicht gestattet.

So entstand die Idee zu einem Projekt, das laut Carmen Simon im deutschsprachigen Raum bisher einzigartig ist. «Entsammeln – alt sucht neu», lautet der Titel. Das funktioniert so: Das Museumsteam hat 120 Objekte und Objektgruppen ausgewählt, die fürs Aussortieren infrage kommen. Jedes Stück ist auf entsammeln.ch aufgeführt, kann auf Fotos aus verschiedenen Perspektiven angeschaut werden. Bei jedem Objekt kann die Emmentaler Bevölkerung abstimmen, ob sich das Museum von ihm trennen oder ob es im Museumsbestand bleiben soll – und warum.

Das Mitspracherecht sei ein zentrales Element, sagt Carmen Simon, «schliesslich gehört unser Sammelgut den Emmentalerinnen und Emmentalern». Das Online-Voting entscheidet aber nicht alleine: Das Publikum hat drei von elf Stimmen. Drei weitere Stimmen haben drei zufällig ausgeloste Langnauerinnen und Langnauer, die im Objektrat Einsitz nehmen. Und fünf Stimmen haben Vertreter aus Politik, Verwaltung, Kultur und dem Museumsteam.


Drei Phasen

Brännten und Butterfässer, Bretzeli- und Waffeleisen, ein Bandwebstuhl und eine Rosshaarwippe, aber auch grössere Objekte wie eine Röndle oder ein altes Schulpult stehen zur Abstimmung. Wer sie nicht nur online anschauen möchte, kann sie an drei Tagen im Dachstock des Jugendhauses direkt vor Ort besichtigen; das nächste Mal am 14. April (17 bis 20 Uhr).

Das Publikumsvoting dauert bis 24. April. Am 9. Mai beginnt dann Phase zwei: In dieser können sich alle Interessierten um die zur Verfügung stehenden Objekte bewerben. Sie begründen, wie sie den alten Gegenständen neues Leben einhauchen möchten. Am 9. Juli schliesslich beginnt Phase drei. Dann kann die Emmentaler Bevölkerung wiederum online abstimmen, welche Bewerber die jeweiligen Objekte erhalten.


Zwei weitere Jahre

«Objekte auszusortieren, war in vielen Museen lange Zeit ein Tabuthema», sagt Carmen Simon. Doch in letzter Zeit habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass das Entsammeln ebenfalls wichtig sei. Nur so könne Platz geschaffen werden, damit das Museum auch in Zukunft Sammelstücke aufnehmen könne und die Sammlung in sich stimmig und repräsentativ bleibe. Deshalb wird das Projekt «Entsammeln» 2023 und 2024 weitergehen. Stehen heuer vor allem Holzobjekte zur Auswahl, werden es nächstes Jahr hauptsächlich Textilien sein.

Auch heute noch wird das Museumsteam regelmässig angefragt, ob es dieses alte Landwirtschaftsgerät oder jenes alte Kleidungsstück in die Sammlung aufnehmen möchte. Jede Anfrage werde geprüft, sagt Carmen Simon, zuweilen müsse man auch absagen. «Das tut jedes Mal weh, aber es geht nicht anders.»

Zum Schluss führt die Museumsleiterin hinunter ins alte Militärspital, in dem das neue Museumsdepot eingerichtet wird. Vieles hier sind Einzelstücke, etwa die umfangreiche Sammlung von Langnauer Keramik. «Keine Angst», sagt Carmen Simon, «wir werden unser Depot nicht leerräumen.» Die meisten der fast 25´000 Sammelobjekte werden auch nach dem Entsammeln noch hier sein. 

07.04.2022 :: Markus Zahno (maz)